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Nr. 68 Ph.J. Später an A.H. Francke 31: 12. 1692
68. Ph.J. Spener an A.H. Francke
Berlin, 31. Dezember 1692
Inhalt
Versetzung Franckes ist möglicherweise nicht mehr aufzuhalten. — Hält Göttlichkeit der Offen¬
barungen Anna Margaretha Jahns für zweifelhaft und befürchtet, daß extraordinäre Ereignisse das
Studium Pietatis gefährden und hemmen.
Überlieferung
A: AFSt/H A 125: 28
D: Kramer, Beiträge, 282-283; Tholuck 1, 12-13; Tholuck 2, 17-18
Von dem der da ist, und der da war, und der da kommen wird, gnade, friede,
liecht, rath, heil, sieg und leben zum neuen u. allen folgenden jähren biß zu
dem frölichen eingang in die selige ewigkeit!
In demselben hertzlichgeliebter Bruder und Herr.
Es wird deßen Versetzung so ernstlich auß Halle alhier getrieben 1 , das ich
nicht weiß menschlicher weise, ob sich solche werde abwenden laßen: wird
also nötig sein, zu dem Herrn soviel innbrünstiger zu flehen, das er nichts
wider seine ehre verhengen, und seinen willen mit völliger gewißheit zu
erkennen geben wolle.
Was in Halberstatt wegen Jfungfer] Jahnin u. Herrn Semlers vorgegangen,
wird bekant sein. 2 In langer zeit ist nichts vorgegangen, so mich mehr nider-
schläget, und auß dem nichts anders alß einen großen schaden der gantzen
guten sache ansehen kan. Wo ich die vermeintliche göttliche dictirte schrifft 3
ansehe, finde ich gleichwol vielmehr wider alß vor dero divinitet. 1. Ist
sie confus, und wird bald mit dem verstorbenen, bald insgesamt mit der
Babylonischen hur, die gewiß nicht eine person ist, geredet. 4 2. Ist Wurtzler
1 Zu Speners bisherigen Äußerungen zu einer möglichen Versetzung Franckes s. Briefe Nr. 66
und Nr. 67. Franckes Briefe vom 20. und 24.12.1692 (Briefe Nr. 64 und 65), die sich ebenfalls
dem Thema der Versetzung widmeten, hatte Spener offenbar noch nicht erhalten (vgl. Brief
Nr. 69, Z. 2ff).
2 Zu den Vorgängen in Halberstadt um Anna Margaretha Jahn (s. Brief Nr. 22, Anm. 18) und
Gebhard Levin Semler (s. Brief Nr. 10, Anm. 26) vgl. Brief Nr. 67, Anm. 9.
3 Die Botschaft Jahns an ihren verstorbenen Beichtvater Johann Christoph Wurtzler vom
22.12.1692 (s. Brief Nr. 67, Anm. 9).
4 Der Adressat der Rede wird als „Antichristliches Thier", „Verfluchter", „Verfluchter Anti¬
christ" und als „Babylon=Babylonische Hure" bezeichnet (Ausführliche Beschreibung [s. Brief
Nr. 81, Anm. 17], 127. 129). Die offensichtliche Vermischung der Angeredeten zeigt, daß der
Kampf gegen Wurtzler sich allgemeiner an der Ablehnung der Sakramente der Kirche festmachte
(„Auff dem Holtze/ [...] / hat er die Luegen geredet/ [...] vor dem Altar/ da die Greuel geopffert
werden. Bistu denn Christus/ der sich in meine Stelle setzet/ und spricht loß?", Ausführliche
Beschreibung, 128f), wobei die Gleichsetzung der Kirche mit der „Hure Babylon", aus der es