Nr. 116 AM. Francke an Ph.J. Spener 7.3.1696 433
116. A.H. Francke an Ph.J. Spener
Glaucha, 07. März 1696
Inhalt
Hält fest an seiner Auffassung vom Chiliasmus. Hat diese nicht verbreitet, weist Befürchtungen
wegen daraus entstehender Gefahren aber entschieden zurück. Auf den Berliner Hof ist zumal
wegen der noch ausstehenden Besoldung keine Rücksicht zu nehmen. Leistet mehr für das
Land, als ihm von der Obrigkeit gelohnt wird. Verzichtet weitgehend auf die Einnahme des
Beichtgeldes. — Tadelt Speners Kompromißbereitschaft angesichts von Widerständen als Mangel
an Glaubensfreudigkeit. — Sieht sich auch angesichts kritischer Stimmen zu den Observationes
im Recht. — Hofft auf baldige Ubersendung der angekündigten Spende für das Waisenhaus.
- Berichtet von wachsendem Zulauf in Waisenhaus, Armenschule und Paedagogium. — Justus
Samuel Scharschmidt hält sich noch in Dorpat auf. Heinrich Wilhelm Ludolf sendet ihm ein
Empfehlungsschreiben.
Überlieferung
A: AFSt/H A 125: 144
D: Kramer, Beiträge, 345—349; Francke, Werke in Auswahl, 57—61
Jesum!
In demselben theurester Vater, und Hochgeehrtester Herr Gevatter,
Dero geliebtes 1 habe wol erhalten, und dancke hertzlich für die zu meinem
besten angewante Mühe 2 . Es tauret mich aber hertzlich Demselben einige
Bekümmerniß zugezogen zu haben. Wiewol ich versichern kan daß ich in der
Sache so retire gewesen, daß ich deswegen etwa zu weit in Verdacht gezogen
worden, als ob ich liberius davon geredet. Es möchte ja wol seyn, daß ausser
dem Herrn von Schweinitz 3 , der mich doch selbst auff die materie gebracht 4 ,
daß ihm auch mein Stillschweigen vielleicht noch anstößiger möchte gewesen
seyn, oder an statt der Antwort gewesen wäre, auch Herr D. Petersen selbst
sich von mir etwas vermercken lassen 5 , wiewol ichs nicht weiß, sonst wüste
ich nicht, wie es an die vornehme Person nach Dreßden 6 u. andere kommen
sey.
1 Speners Brief vom 29.2.1696 (Brief Nr. 115).
2 S. Brief Nr. 115, Anm. 2.
3 Georg Rudolph von Schweinitz (s. Brief Nr. 30, Anm. 5).
4 Briefe entsprechenden Inhalts von Schweinitz an Francke wurden nicht ermittelt.
3 Die Divergenzen in der seit Oktober 1695 laufenden Diskussion um den Chiliasmus be¬
standen im Kern darin, daß Francke im Gegensatz zu Spener die Auffassung Johanna Eleonora
und Johann Wilhelm Petersens (s. Briefe Nr. 7, Anm. 46 und Nr. 17, Anm. 33) rezipierte (vgl.
Briefe Nr. 110, Z. 107-139, Nr. 114, Z. 40-48 und Nr. 1 15, Z. 3-28; s. auch Anm. 8), wovon
Spener durch Petersen selbst erfahren hatte (s. Brief Nr. 110, Z. 107f).
6 Wohl von Henriette Katharina von Gersdorf (s. Brief Nr. 5, Anm. 10; vgl. Brief Nr. 115,
Z. 13-18 und Anm. 3).