478 Nr. 129 AM. Francke an Ph.J. Spener 1. 12. 1696
129. A.H. Francke an Ph.J. Spener
Glaucha, Ol. Dezember 1696
Inhalt
Berichtet vom Stand der Visitation: Nur wenige der vor dem Konsistorium verhörten Glauchaer
Gemeindeglieder zeigen sich einsichtig. Sollen an den Kurfürsten geschrieben haben. Stellt des¬
halb seine Sicht des Konflikts dar. Sieht Abhilfe nur in Verordnung zum Verhalten der Prediger
und in einer schärferen Sonntagsordnung. Erwartet Antwort vom Konsistorium auf Petitionen.
Ist zufrieden mit Vergleich mit Johann Christian Olearius; hat auch persönlich mit ihm ge¬
sprochen.
Überlieferung
A: AFSt/H D 66: 171-174
D: Kramer, Beiträge, 359-362
Theurester Vater in dem Herrn, Hochwehrtester Herr Gevatter,
Es ist mit unserer Visitation noch nicht zum Ende kommen. 1 Am verwiche-
nen Donnerstag 2 ward ich nebst denen abtrünnigen BeichtKindern 3 vors
Consistorium gefordert, da in meiner Gegenwart alle nacheinander (wiewol
5 viele nicht erschienen waren) befraget wurden, warum sie von mir abge¬
treten? Bey wem sie anjezo zur Beichte gingen? 4 Ward ihnen von den Herrn
Consistorialibus ernstlich zugeredet, daß ihre Ursachen nicht hinlänglich
wären, sie solten sich zu ihren ordentlichen Lehrern halten, ihren Unterricht
und Ermahnungen annehmen, sich nicht mehr gelüsten lassen anderswo zur
10 Beichte zu gehen, oder eines mehreren Ernstes gewärtig seyn. Es bezeugeten
sich aber die meisten sehr trotzig, und blieben bey ihrem bösen Sinn. Es
sind ihrer an der Zahl etliche 60 biß 70 5 welche wir angefangen nun einzeln
nacheinander vor uns zu bescheiden, und ihnen mit aller Sanfftmuth und
Freundlichkeit auffs beweglichste zu zureden, ob wir durch diesen Weg,
15 da ihnen der Rückenhalt, den sie von Seiten der Obrigkeit etwa gehoffet,
weggefallen.
1 Zur Visitation in Glaucha s. Briefe Nr. 123, Anm. 9 und Nr. 126.
2 26.11.1696.
3 Glauchaer Gemeindeglieder, die aufgrund des entsprechenden Zugeständnisses des Konsisto¬
riums seit 1692 zum Beichten in die Stadt gingen. Dieses Zugeständnis war vom Konsistorium
ungefähr im Juni 1696 zurückgenommen worden (vgl. Brief Nr. 123, Z. 2—7 und Anm. 3).
4 Das Protokoll der Befragung der Gemeindeglieder ist nicht überliefert.
5 Während ihres Verhörs am 30.10.1696 nannten Francke und Freylinghausen 53 Personen,
die vom Beichtstuhl abgewiesen worden seien, namentlich (LHA Magdeburg/Wernigerode Rep.
A 12 a I Nr. 1998, Bl. 9 V —10'). Zudem gaben sie genauere Auskünfte über 16 Personen, „die ein
unbußfertig, ruchloses Leben fuhren" und sich von Beichte und Abendmahl fernhielten (LHA
Magdeburg/Wernigerode, aaO, Bl. 12 v -13 v , Zitat 12 v ).