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Nr. 155 Ph.J. Später an A.H. Francke 11.3. 1699
155. Ph.J. Spener an A.H. Francke
Berlin, 11. März 1699
Inhalt
Hat erfahren, daß Francke und Johann Anastasius Freylinghausen Hausabendmahl halten. Sieht
darin große Gefahr und bittet um genaueren Bericht.
Überlieferung
A: AFSt/H A 125: 83
D: Kramer, Beiträge, 395-396
Von unsrem liebsten Jesu, alle frucht und krafft seines leidens!
In demselben hertzlichgeliebter Bruder, HochEhrwürdiger Herr und wehrter
gevatter.
Es ist dieser tagen von ihrem ort hergeschrieben worden, das derselbe und
5 Herr Freylingshausen 1 anfiengen das brodt zu brechen und die communion
zu halten hin und wider in den heüsern. 2 Ob nun wol solches jemand ge¬
schrieben haben solle, der meldet, mit dabey gewesen zusein 3 , kan ich doch
solange noch keinen glauben zumeßen, noch von geliebtem bruder dieses
vermuthen, etwas zu thun oder geschehen zulaßen, dardurch der gantze lauff
io des guten, der in göttlichem segen ohne große hindernus, hingegen vieler
frucht, glücklich von statten gegangen, auff einmal gehemmet, ja der gantze
bau nidergeschlagen werden würde: wie dann den widrigen laurern nichts
angenehmer sein würde, als wo sie dergleichen eine sache finden solten, nach
dero sie wol lang mögen verlangt haben, da sie zeigen könten, wie ihre sorge
15 bißdahin [?] nicht vergebens gewesen, und man nun endlich mit solchem be¬
ginnen außbreche, das die gantze kirche und dero Ordnung umkehrte. 4 Weil
1 Johann Anastasius Freylinghausen (s. Brief Nr. 94, Anm. 5).
2 Ein entsprechender Bericht ist nicht überliefert.
3 Verfasser des Berichts war wohl ein Herr Eißner (s. Brief Nr. 156, Z. 14f). — Am linken
Rand des Briefes steht hier offenbar von Franckes Hand die Bemerkung „calumnia.".
4 Obwohl nicht davon die Rede ist, daß das Abendmahl in Glauchaer Häusern auch ohne
Pfarrer gehalten wurde, dürfte Spener hier deshalb so heftig reagieren, weil die von der gottes¬
dienstlichen Gemeinschaft getrennte Abendmahlsfeier eine Separation darstellte, die den Rahmen
der kirchlichen Ordnung verließ (zum Problem der Separation vgl. Brief Nr. 112, Z. 22—37 und
Anm. 13). Zwar war bereits in der Kirchenordnung für die Mark Brandenburg im Jahre 1540
festgelegt worden, daß in Dörfern, in denen es keine Kirche gebe, das Brot in den Häusern kon-
sekriert und ausgeteilt werden dürfe; grundsätzlich aber war auch nach den Bestimmungen der
Magdeburger Kirchenordnung von 1685 die Hauskommunion den Kranken vorbehalten, die
nicht in die Kirche kommen konnten (vgl. Mylius 1, 230f; Magdeburger Kirchenordnung 1685 [s.
Brief Nr. 28, Anm. 6], Kap. 7, § 22., 11). Dafür, daß die Privatkommunion im Laufe der Zeit aber
eine wachsende Rolle spielte, spricht ein Edikt vom 6.9.1731, in dem das Reichen des Abend¬
mahls in der Sakristei und in den Häusern ausdrücklich verboten wird (vgl. Mylius, aaO, 555f).