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Nr. 172 Ph.J. Spener an A.H. Francke 29.1. 1699 619
172. Ph.J. Spener an A.H. Francke
Berlin, 29. Juli 1699
Inhalt
Bittet erneut um das Konzept von der Predigt gegen Marktschreier. — Hält die Argumente für
Abschaffung des Exorzismus nicht für überzeugend. — Gottfried Stößer von Lilienfeld plädiert
in Berlin für eine weitgehende Bevollmächtigung der Magdeburger Regierung zur Lösung von
Franckes Konflikt mit dem Halleschen Stadtministerium. - Befürchtet, daß Francke in einem
Vergleich unterliegt. Schlägt Justus Lüders als Kommissar vor. — Versendung von Franckes
„Bekenntnis" wäre unklug. — Stößer klagt über verdächtige Bücher bei den Studenten.
Überlieferung
A: AFSt/H A 125: 92
D: Kramer, Beiträge, 410-412
Heil, rath und sieg von unsrem Jesu!
In demselben hertzlich geliebter bruder, Hochgeehrter Herr und Gevatter.
Deßen vom 15. Jul. an mich gegebenes 1 habe erst vor ein paar tagen emp¬
fangen. 2 Was in der predigt wegen des marckschreyers vorgegangen zu sein
referiret 3 , billiche allerdings: achte aber dennoch dienlich zusein in anteces- 5
sum das concept an mich zusenden 4 , darmit praeoccupire, auf daß nicht, wo
die denunciation von feindseligem gemüth abgefaßet vor S[eine] Churffürs-
tliche] Durchlaucht 5 käme, und nicht sobald eine gründliche relation, wie die
sache bewandt, von jemand abgestattet, und also jener krafft infirmirt würde,
ein plötzliches urtheil fiele, das nachmal schwehrer wird auffzuheben, als es 10
ist zuvor zu kommen. Und glaube ich, wo Mephiboseth vom vorhaben der
delation des Ziba an David voran etwas gewußt 6 , und nicht, wo er gekont,
6 /auf daß/ : (darmit). 8 sobald] + (jemand).
1 Brief Nr. 171.
2 Franckes am 15.7.1699 geschriebener Brief hätte normalerweise mit der am Montag, 17.7.,
in Berlin eintreffenden Post Spener erreichen müssen.
3 S. Brief Nr. 171, Z. 4-28.
4 Ein Konzept von Franckes Predigt gegen Marktschreier, um das Spener bereits am 11.7.1699
gebeten hatte (s. Brief Nr. 170, Z. 7-11), lag nicht vor (s. Brief Nr. 173, Z. 53-56).
5 Friedrich III. (I.) von Brandenburg (s. Brief Nr. 18, Anm. 11).
6 Mephiboseth, der Sohn Jonathans und Enkel Sauls, wurde von König David an den Hof
geholt und mit den Gütern Sauls beschenkt; Ziba wurde zu seinem Diener bestimmt (2Sam 4,4
u. 9,1—13). Bei einer Begegnung Zibas mit dem König behauptet ersterer, Mephiboseth wolle in
Davids Abwesenheit selbst König werden. Daraufhin erklärt David alle Besitztümer, die er zuvor
Mephiboseth geschenkt hatte, zu Zibas Eigentum (2Sam 16,1-4). Als David Mephiboseth zur
Rede stellt und letzterer erklärt, daß Ziba ihn verleumdet habe, bestimmt der König, daß der
Besitz zwischen Ziba und Mephiboseth geteilt werden solle (2Sam 19,25—31).