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Nr. 194 AM. Francke an Ph.J. Später 27.1.1700
194. A.H. Francke an Ph.J. Spener
Halle, 27. Januar 1700
Inhalt
Will Spener den Entwurf seines Responsums auf die Essener Anfrage zuschicken. — Legt ein
Votum Breithaupts wegen Immanuel Tögel und einen Brief von Justus Samuel Scharschmidt
bei.
Überlieferung
A: AFSt/H D 66: 395
D: Kramer, Beitrage, 432
Halle den 27. Jan. 1700.
Mein theurester Vater in dem Herrn,
Die Essendischen Acten 1 haben wir alle drey 2 durchgelesen, und finden sie
allerdings gefährlich, daher ich bey mir schon in den Sinn gefasset mit mei¬
nem th[euresten] V[ater] darüber zu communiciren, und wenn es so gefällig,
wil ich meinen Auffsatz des responsi zuschicken 3 , da mir lieb seyn soll, wenn
1 Mit einem Anschreiben vom 8.12.1699 hatte der Magistrat der Stadt Essen der theol.
Fakultät Halle die Lehrsätze des Essener Pfarrers Johann Merker (s. Brief Nr. 193, Anm. 19) wie
auch die „Essendische Kirchen= oder Prediger=Ordnung" vom 1.12.1691 zur Begutachtung
zugesandt (vgl. Acta Essendiensia [...], Mülheim/Rhein 1706, 2—4 [Anschreiben], 4—92 [Lehr¬
sätze Merkers], 121-136 [Essener Kirchenordnung]; die Essener Akten erschienen in Frankfurt
a.M. 1710 in 2. und 1714 in 3. Aufl.). Merker, der sich in der Forderung nach Umsetzung wahren
Christentums in gute Werke als Schüler Speners verstand, behauptete in den Sätzen u.a., daß die
Berufung zur Lehre in der Kirche nach lirchristlichem Vorbild ausschließlich von den hierzu vor¬
handenen Gaben abhinge und vom Bischofsamt zu trennen sei. Dementsprechend verwarf er die
akademisch-theologische Ausbildung. Auch die Befugnis, Sünden zu vergeben, zu taufen und
das Abendmahl zu verwalten, sollte nach Merkers Ansicht jedem Christen zustehen. Weltlichen
Obrigkeiten sprach er das Recht, in kirchliche Angelegenheiten einzugreifen, ab. Der Essener
Magistrat hatte vergeblich versucht, die auf den Kanzeln ausgetragene Auseinandersetzung um
Merkers Ansichten zu unterbinden. Schließlich hatte er Merker aufgefordert, diese schriftlich zu
formulieren, und die auf diese Weise entstandenen „Lehrsätze" wie auch die geltende Kirchen¬
ordnung mit dem Ziel, eine Handhabe gegen Merker zu erhalten, nach Halle gesandt (vgl. auch
Goebel 2, 624-631; Sachsse, 247f; Ritschl 2, 208-210. 445-447; Brecht, Spener, 326. 359;
zum Halleschen Responsum und zur weiteren Entwicklung der Angelegenheit s. Anm. 3 und
4; zur Anfrage an Spener und dessen Responsum in der Sache s. Briefe Nr. 193, Anm. 19 und
Nr. 198, Anm. 6).
2 Außer Francke Joachim Justus Breithaupt (s. Brief Nr. 7, Anm. 36) und Paul Anton (s. Brief
Nr. 110, Anm. 64).
3 Francke sandte erst im März 1700 Teile seiner Antwort auf die Essener Anfrage an Spener
(vgl. Brief Nr. 199, Z. 9-11). In ihrem vom 19.4.1701 datierenden Responsum erklärte die
theol. Fakultät Halle die Ansichten Merkers weitgehend für irrig (vgl. Acta Essendiensia [s.
Anm. 1], 95-186; UA Rep. 27, Nr. 1280, Verzeichnis der Responsen der theol. Fakultät Halle,
Nr. 41f [in der entsprechenden Sammlung der Responsen, Rep. 27, Nr. 1281, aber nicht vor-