Nr. 222 PhJ. Spener an A.H. Francke 19. 6. 1100
771
222. Ph.J. Spener an A.H. Francke
Berlin, 19. Juni 1700
Inhalt
Befurchtet, daß durch die Weigerung der Hallenser Theologen, die Schriften Valentin Weigels
u.a. zu verwerfen, das Ergebnis der Untersuchungskommission gefährdet wird. Rät dringend,
von der Empfehlung verdächtiger Bücher an Studenten Abstand zu nehmen. - Berichtet von
der Verbreitung von Georg Kleinnicolais Traktat über das Ewige Evangelium in Lichtenburg
und Berlin.
Uberlieferung
A: AFSt/H A 125: 116
D: Kramer, Beiträge, 458-460
Jesum!
In demselben hertzlich geliebter Bruder, Hochwehrter Herr Gevatter.
Als ich diesen morgen von den beiden Churfiirstinnen 1 wider zurück
auß Liechtenburg gekommen 2 , vernahm mit nicht weniger bestürtzung von
Herrn Baron von Canstein 3 , wie auß Gottes verhengnus ein neuer stein des
anstoßes sich ereigne, in dem das ministerium von den Herren Theologis 4
die verwerffung der schrifften Weigelii 3 u. des ewigen Evangelii 6 fordere, sie
1 Wilhelmine Ernestine, Kurfürstin und Pfalzgräfin bei Rhein, und Anna Sophie, verwitwete
Kurfurstin von Sachsen in Lichtenburg (s. Brief Nr. 35, Anm. 6).
2 Zu Speners jährlichem Aufenthalt in Lichtenburg s. Brief Nr. 120, Anm. 1. Da er am 13.
und 16.6.1700 in Lichtenburg gepredigt hatte (vgl. Grünberg Nr. 66), ist anzunehmen, daß er
sich mindestens seit Samstag, 12.6.1700, dort aufgehalten hatte.
3 Carl Hildebrand von Canstein (s. Brief Nr. 143, Anm. 1).
4 Außer Francke Joachim Justus Breithaupt (s. Brief Nr. 7, Anm. 36) und Paul Anton (s. Brief
Nr. 110, Anm. 64).
5 Mystische und spiritualistische Schriften Valentin Weigels (1533—10.6.1588), geb. in Naun¬
dorf bei Großenhain; 1554 Studium in Leipzig, 1563 in Wittenberg; seit 1567 Pfarrer in Zschopau
(DBA 1342, 7-11; NF 1377, 335-355; ADB 41, 472-476; Jöcher 4, 1859f; RE 3 21, 37-44;
RGG 4 8, 1331; V. Weigel, Sämtliche Schriften, hg. W.-E. Peuckert, 7 Bde., Stuttgart-Bad Cann¬
statt 1962-1978; Neue Edition hg. H. Pfefferl, Bd. 3 u. Bd. 8, Stuttgart-Bad Cannstatt 1996
u. 1997; vgl. H. Pfefferl, Die Überlieferung der Schriften Valentin Weigels, Marburg/Lahn
1991). Erst das nach Weigels Tod ab 1609 veröffentlichte Schrifttum zeigte den heterodoxen, u.a.
Paracelsus rezipierenden Ansatz des Pfarrers und zog Veröffentlichungen ähnlichen Inhalts unter
Weigels Namen nach sich — der Vorwurf des „Weigelianismus" wurde zum Inbegriff heterodoxer
Lehren.
6 Friedrich Breckling (s. Brief Nr. 110, Anm. 36), Das ewige Evangelium/ von der Gewi߬
heit der Seeligkeit aller bußfertigen und gläubigen Kinder Gottes/ in Christo Jesu, Amsterdam
1660. - Gemeint sein kann hier auch [Johann Wilhelm und Johanna Eleonora Petersen] (s. Briefe
Nr. 7, Anm. 46 und Nr. 17, Anm. 33), Das ewige Evangelium der allgemeinen Wiederbringung
aller Creaturen/ Wie solche unter andern in rechter Erkäntniß d. mittlem Zustandes d. Seelen
nach dem Tode tieff gegründet ist [...], o.O. 1698 (weitere Aufl. 1699 u. 1700).