Theurer Vater in Christo!
Ich habe zwar meine Reise von Gotha aus nach Berlin am verwichenen
Donnerstag vor acht tagen bereits angetreten, bin aber hieselbst ohne
vermuthen sehr auffgehalten worden, da mir Gott absonderlich zu Quedlin-
burg und auch hieselbst eine große thür des worts geöffnet, daß
ich mich durch die liebe gedrungen befunden, in dem werck des Herrn
nicht meinem eigenen willen, sondern seiner heiligen führung zu fol-
gen. Mit der Hertzogin als Äbtissin habe ich fünffmahl, und zwar
zweymahl in Herrn Scriverii behausung geredet, und vom Christenthum
conferiret, allemahl auff ihren befehl, und ist mir einige hoffnung übrig
daß es nicht ohne Frucht seyn möchte. Die Freulein Börstelin, so der
Hertzogin Cammer Jungfer, welche auch freundl. grüßet, giebt auch
gute hoffnung eines rechten durchbruchs zu der lebendigen Erkentniß.
Desgleichen auch die Freulein Auerbachin. Der Stifftshauptmann
zu Quedlinb. hat mich auch zur Mahlzeit eingeladen, und ist dessen
liebste bereits in einem sehr feinen anfange eines wahren Christenthums,
ist auch gestern, da ich für Herrn Mag. Achilles geprediget, hie-
selbst meine zuhörerin gewesen. Der bürgemeister daselbst hat
mich in seiner chaise mit herüber genommen, um meiner Predigt
beyzuwohnen. Uber diesem habe in vielen Seelen einen ernstl. an-
fang so wohl in Quedlinburg als in Halberstadt und auff einem
zwischen beyden liegenden dörfflein gefunden. Einige lästerer haben
auch mit thränen ihre Sünde beweinet, und bequemen sich zu
annehmung der Erkentniß Gottes, und zwar welches zu verwun-
dern, alte leute, und ist nicht zu sagen welch ein Feuer dieser
Orten angehe. Der Superint. zu Quedl. hat mir bißhero wider-
standen, daß ich da noch nicht predigen dürffen, wiewohl ich selbst
auch nicht drum gebeten. Aber hie werde übermorgen wieder
an einem bußtage predigen, welches nicht außschlagen mügen,
nachdem mir Gott durch die erste predigt sehr großen, und au-
genscheinlichen Seegen verliehen. So erwarte ich auch diese woche
Herrn D. Breithaupten, der in patriam reisen wil, und so dann
werde meine Reise nach dem willen des Herrn schleunig vollen-
den. Ich hoffe, mein theurester Vater werde wol merken,
daß dieses eine Erquickung sey welche mir der Herr nach
meinen verfolgungen gönnet, denn ich traun dergleichen
Fortgang des Evangelii noch nie gesehen, und werde also
mein verweilen an gehörigem Orte und auff bedürffenden
Fall bestens zu entschuldigen wissen. Die Frau Hoffr. Schrei-
berin, dabey ich dieses geschrieben, grüßet gar hertzlich.
Der Hand des Herrn empfholen.
Halberst. dem Mon-
tag nach dem 21 Trin.
1691.
Meines theuresten Vaters
Gehorsamer Sohn
M. Aug. Hermann Francke.