Nr. 55 AM. Francke an Ph.J. Spener 25. 10. 1692
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länge werde außstehen können. Wie sol ich mich bereden, daß ich darinnen
nicht wieder Gott handele, darüber ich mehr Unruhe in meinem hertzen
au[ß]stehen muß, als über alles andere, so ich wol offenbar für sündlich
erkenne. 45
Dem Hochwurdigen, in Gott andächtigen und hochgelahrten Herrn, Herrn
Philipp Jacob Spenern. S [einer] Churfürstlichen Durchlaucht zu Brandenburg
Consistorial-Rath und Probsten In Berlin .
Francö.
104 au[ß]stehen ] anßstehen: D.
45 Daß die in seinen Augen zu laxe Beichtpraxis (mangelnde Reue, bedingungslose Ab¬
solution, mangelndes Verstehen, Fehlen harter Kirchenzucht) für die Mißstände in Kirche und
Gesellschaft eine zentrale Ursache sei und daß er diese Praxis nicht guten Gewissens beibehalten
könne, hatte Francke schon in seiner Predigt zum 6. So.n.Tr. (Der Fall und die Wiederaufrichtung
der wahren Gerechtigkeit, s. Brief Nr. 28, Anm. 18) betont. Zudem hatten die ersten praktischen
Auswirkungen seiner Ansichten von der Beichte (Ausschluß der Wirte vom Abendmahl, s. Briefe
Nr. 28ff) bereits den Konflikt mit der Glauchaer Gemeinde und mit der orthodoxen Stadtgeist¬
lichkeit ausgelöst (vgl. Obst, 123-139; V. Albrecht-Bihkner: August Hermann Francke in
Glaucha und die Hallesche Stadtgeistlichkeit. Beobachtungen zu einem spannungsvollen Ver¬
hältnis |1692-1704], in: Die Marktkirche Unser Lieben Frauen zu Halle, hg. im Auftrag der
Evangelischen Marktkirchengemeinde zu Halle v. S. Kramer und K. Eisenmenger, Halle 2004,
39-46).