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Nr. 60 A.H. Franckc an Ph.J. Spam 10. 12. 1692
Das Churfurstliche rescrfipt] an die commissarios, daß sich die beichtkinder
vor der beicht einige Tage bey mir angeben sollen, ist mir von allen commissa-
io riis unterschrieben zugestehet worden. 7 Ich hatte eine formulam auffgesetzet,
welche ich deshalben von der Cantzel zu lesen, mit Herrn Seckendorffs 8 ein-
rathen, gewillet war. 9 Weil aber Herr D. Olearius 10 das nicht gerne gesehen,
habe ich es darinnen gemachet, wie ers haben wollen, habe es nemlich in der
Predigt angeführet, mich auffs Churfurstliche rescript bezogen, und meine
15 Zuhörer dazu angemahnet. Dieses ist das erste mahl, da sich ziemlich viele,
weiß aber nicht ob alle, angegeben haben. Ich wolte dieses nicht um viel
entrathen, als welches mir eine thür ist zu vielem guten 11 , und ein gut ex-
empel giebet, auch der bürde des gewissens von wegen des beichtstuhls 12 eine
gute Erleichterung giebet. Herr D. Olearius saget, er wolte, daß es bey ihnen
2o auch also wäre. Meynete er es ernstlich, könte er es ja leicht erhalten. Die
Veränderung meiner betstunde 13 bin wol gewiß, daß Sie von Gott sey, und ist
mir darüber etwas sonderliches begegnet, so mich des göttlichen willens sehr
herrlich versichert. Man hat mir mein hauß damit zu einem rechten bethause
gemachet. 14 Frühe und abends habe ich die alten und nachmittage die kinder.
25 Es läst sich nun doch ein wenig ansehen, als weide man die heerde, und als
lerneten die Schaffe den hirten kennen. 1 '' Wird es dem Satan erlaubet sich
dagegen zu regen, so wird er wohl sein äüßerstes thun. Weil Reichhelm 16 und
Nicolai 17 sich bereits schändlicher als sonst jemals auff der Cantzel gegen uns
bezeiget, ist darauß wol zu sehen, wie lange man uns das werck des Herrn
30 im Frieden werde treiben laßen 18 . Was sonst der Herr wunderliches unter
uns thue, ist aus beyliegende[m] 19 zu ersehen. Das ist nur ein Exempel. Denn
sonst dergleichen viel mehr passiret ist. Es mag solches dem Teuffei oder der
29 bezeiget ] bezeuget: D. 31 beyliegende[m]: cj.
7 Ein entsprechendes Reskript ist nicht überliefert.
8 Veit Ludwig von Seckendorf (s. Brief Nr. 1, Anm. 4).
9 Nicht überliefert.
"' Johann Christian Olearius (s. Brief Nr. 20, Anm. 3).
11 Vgl. IKor 16,9.
12 Zu Franckes Gewissensproblemen mit der üblichen Beichtpraxis vgl. Brief Nr. 55,
Anm. 45.
13 Vgl. die Vereinbarungen im Ergebnis der Kommission (Brief Nr. 58, Z. 100—104 und
Anm. 28).
14 Vgl.Jes 56,7.
13 Zum biblischen Motiv von Hirt und Herde vgl. u.a. Num 27,17; Jes 40,11; Mt 9,36.
16 Johann Jeremias Reichhelm (13.12.1648-1708), geb. in Halle; 1672 Adjunkt an Unser Lie¬
ben Frauen in Halle, 1680 Pfarrer in Großen Salza, 1685 an St. Moritz in Halle; 1695 Amtmann
in Wanzleben (DBA 1012, 86; Dunkel 3/3, 1759; Auskunft Pfarrerkartei der KPS).
17 Christian Nicolai (s. Brief Nr. 34, Anm. 3).
18 Vgl. IKor 16,10 u.ö.
Nicht überliefert. Die Andeutungen der folgenden Sätze legen nahe, daß es sich um einen
Bericht von neuen Ekstasen Schucharts handelte (zu den Ereignissen im Oktober um Schuchart
in Halle vgl. Brief Nr. 55, Z. 32-40 u. 52-63).