hatte; das Kirchdorf, wohin es angepfarret war hieß Vicheln. Ich mochte ein halbes Jahr alt
seyn, da meinem sel. Vater seine geliebte Gattin durch einen seligen Tod entrißen ward. Stets, wenn
er von ihr redete bemerkte ich die innigste Wehmuth an ihm. Er wandte nun alle die Zeit, die er seinen
nothwendigen Geschäften entziehen konnte auf meine Ausbildung, worinn mein obgenannter theurer
Oheim, Carl Christian Ludewig, welcher bei ihm wohnte, ihm treulich beistand, mir sehr frühzeitig
Lesen, Rechnen und die Anfangsgründe der Lateinischen und Französischen Sprache beibrachte, und
mir sein zärtlich liebendes Herz auf mancherlei Art zu fühlen gab. Ich liebte ihn hinwiederum auf
das innigste. Mein Vater lehrte mich schreiben, machte mich gleichsam spielend mit dem Welt System
nach der Copernicanischen Lehrart bekannt, brachte mir Geographie und Geometrie bei, leitete mich in den
Geist der claßischen Schriftsteller hinein und unterrichtete mich im Griechischen, Italiänischen und
Englischen bis ins 14te Jahr. Da ich aber zum Studio Medico bestimmt war, so blieb freilich die
gründliche Kenntniß des Lateinischen immer der hauptsächlichste Gegenstand. Beide mein Vater und
Oheim, bemüheten sich mich gottselig zu erziehen.
Als im Jahr 1770 die Pacht von Hoppenrade zu Ende lief und das bisherige jährliche Pacht Quan-
tum ebenfalls auf Anstiften des vorher erwähnten vornehmen Herrn an Herzog Friedrichs
Hofe um die Hälfte erhöhet werden sollte, so gab mein Vater die Pacht auf.
Bevor ich Hoppenrade verlaße, will ich noch erwähnen, daß wir mit unsern Nachbarn
Herrn Pastor Friderici zu Hohen Vicheln und seiner Ehegattin, dem Oberamtmann Brüning zu Meck-
lenburg und andern in guten Vernehmen und Freundschaft lebten. Unter andern Bekannten und Feld-
nachbaren erinnere ich mich der beiden Pächter Kahle zu Zickhusen und Ehlers zu Gallentin; auch be-
suchte uns zuweilen ein braver alter Schiffszimmermann Belgmeyer, welcher auf der Insel Liepse am
Wismarischen Hafen wohnte, und deßen Frau mir eine Samlung von ihrem Sohne paußirter Gibs-
bilder schenkte, welche alle damals regierende Potentaten von Europa vorstelleten.
Von Hoppenrade zogen wir nach Blinstorf einem adlichen Gute im Herzogthum Sachsen-Lau-
enburg, ohngefehr in gleichem Abstand von Lübeck, Ratzeburg und Möllen nemlich zwo starke Meilen.
Es hatte vor dem der Familie von der Sode gehört, von denen es der Hannoverschen Dragoner Oberste
Vincent von Müller gekauft hatte. Wenn er von Bruchhausen, wo der Stab seines Regiments lag,
nach Bliestorf kam, so wohnte er auf dem Neuen Hofe. Eine halbe Stunde davon lag der alte Hof,
welchen mein Vater mit den dazu gehörigen Grundstücken gepachtet hatte. Dieses Gut war nach
Grümel eingepfarret; der Prediger war der alte Aßeßor des Ratzeburgischen Consistorii Herr [?]feld
ein gar lieber und munterer Mann, der sich immer viel mit mir zu thun machte, und wohlgerathene
geschickte Söhne hatte, die wie ich gewiß glaube, schon längst in des HErrn Weinberge arbeiten.
Justitiarus war der Ratzeburgische Herr Rathsconsulent, itzt königl. Churfstl. Oberappelations
Gerichts-Advocat Wagner, deßen zierlich Aussprache und schöne gerade Positur beim Schreiben
mein sel. Vater mir stets zum Muster vorstellete; aber leider hinderte mich meine Kurzsichtig-
keit an letzterem. Weit schätzbarer aber als sein Aeußerliches, war meinem Vater Herrn Wagners
gefühlvolles Herz, welches sich besonders auf Veranlaßung einer - von dem Holzvoigt auf-
dem Neuen Hofe Arnecke, einem invaliden Dragoner, an zwei fremden todtkranken, refor-
mirten Frauenzimmern Mutter und Tochter, davon die eine starb, bewiesenen Hartherzigkeit
in einem Schreiben voll edlen Unwillens an meinen Vater zu Tage legte, aus welchem ich mich
der Worte - "Das is ja doch ganz abscheulich" - noch izt so lebhaft erinnern kann, als ob ich den
Brief vor mir sähe. - Eine Klage über den Bliestorfischen Tischler N. - welcher aus dem
ihm eingeräumten Hause Balken ausgesäget und verarbeitet oder verkauft haben soll, und noch
dazu dem Gutsherrn sehr impertinent ankam, gab Herrn Wagner auch Bemühung. -
Ich erinnere mich sehr genau, daß da mein Vater mich einsmals die Vorrede des Cornelius
Nepos vor Herrn Wagner hersagen ließ (die ich itzt auch noch auswendig weiß) und in dem Wort
pleraque den Accent auf die Penulitima legte, so erinnerte Herr Wagner es hieße: plērique,
le