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Titelaufnahme

Titel
Rudolf von Ems: Barlaam und Josaphat. Fragment 12.
VerfasserRudolf von Ems
Ort / Datumo.O., um 1350
Umfang / Format1 Doppelbl.; 24,5 x 12 cm : enth. Aus dem Einband des Drucks BFSt 12 C 7 so gelöst, dass der Teil des Doppelblatts im Vorderdeckel zugänglich ist. Für den weiteren Teil müsste der Band auseinandergenommen werden.
SpracheDeutsch
Anmerkung
Bitte beachten Sie, dass die Erschließung den Hauptinhalt des Dokuments wiedergibt. Die vorliegenden Zusammenfassungen und Schlagwörter erheben damit keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Signatur BFSt 12 C 7
Besitzende EinrichtungFranckesche Stiftungen zu Halle. Archiv
Literatur
Schröder, Edward: Fuldaer Bruchstück von Rudolfs von Ems Barlaam, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 54 (1913), S. 23f
Prillwitz, Siegmund: Überlieferungsstudie zum "Barlaam und Josaphat" des Rudolf von Ems. Eine textkritisch-stemmatologische Untersuchung. Kopenhagen 1975, S. 76f
Regina Hausmann: Die historischen, philologischen und juristischen Handschriften der Hessischen Landesbibliothek Fulda bis zum Jahr 1600 (B 1-25, C 1-18. 68, D 1-48). (Die Handschriften der Hessischen Landesbibliothek Fulda 2). Wiesbaden 2000, S. 48
Vorderstemann, Jürgen: Neue Fragmente von Rudolfs 'Barlaam' III. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 137, 2008, S. 80-88.
URNurn:nbn:de:gbv:ha33-1-198867 
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Ein Fragment von Rudolf von Ems' Barlaam und Josaphat in einem Basler Druck von 1542 in der Bibliothek der Franckeschen Stiftungen

Das Fragment des Versespos Barlaam und Josaphat des Rudolf von Ems befindet sich in einem Baseler Druck des 16. Jahrhunderts, der in der Kulissenbibliothek der Franckeschen Stiftungen unter der Signatur 12 C 7 aufbewahrt wird. Es handelt sich um die Opera omnia des Kirchenvaters Eusebius von Caesarea (260-339), gedruckt in Basel im Jahr 1542.1
Das Fragment wurde 2004 unter dem Vorderen Spiegel des Buchs entdeckt und vorsichtig in der Restaurierungswerkstatt Bucheinband exquisit in Leipzig (heute Buchrestaurierung Leipzig) gelöst und damit sichtbar gemacht worden ist.
Das Fragment zeigt ein aufgeklapptes Doppelblatt mit den Maßen 31 x 6,7 cm. Der Text ist in zwei Spalten gegliedert. Vor- und Rückseite des Fragments sind mit 71 Versen in Paarreimen beschrieben. Die Initialmajuskeln sind in roter Farbe und zweizeilig gestaltet, die Versalien weisen eine rote Strichverzierung auf.

Wie kam es zum Fund des Fragments?

2002 entdeckte Dr. Jürgen Vorderstemann, bis 2008 wissenschaftlicher Bibliothekar an der Pfälzischen Landesbibliothek in Speyer, heute Teil des Landesbibliothekszentrums Rheinland-Pfalz, in einem Konstanzer Druck aus dem Jahr 1544 ein Einbandfragment aus dem genannten Versepos des Rudolf von Ems. Er recherchierte und fand heraus, dass dieses Fragment ein ergänzendes Bruchstück zu Fragmenten aus einem Einband der Fuldaer Landesbibliothek darstellt, die bereits 1913 von dem Mediävisten Edward Schröder (1858-1942) beschrieben worden sind.2
Jürgen Vorderstemann verglich die Bucheinbände aus Fulda und Speyer. Das Fuldaer Fragment befand sich einem Sammelband des 14. Jahrhunderts mit dem Provenienzvermerk des Klosters Weingarten. Der Einband datierte aber deutlich später. Denn er weist dieselben Stempel und Rollen wie der Speyerer Trägerband auf, der durch den Druckvermerk auf nach 1544 datiert werden kann. Dr. Vorderstemann kontaktierte den damals bekanntesten Einbandforscher in Deutschland, Dr. Konrad von Rabenau (1924-2016), der unter anderem systematisch Abreibungen von den Einbänden in der Bibliothek der Franckeschen Stiftungen angefertigt hatte. Das Verfahren, Einbandverzierungen durch Abreibungen kenntlich zu machen, bildet eine wichtige Grundlage zur Identifikation von Einbandwerkstätten und Buchbindern in der Frühdruckzeit. Konrad von Rabenau vermutete eine Druckwerkstatt in Süddeutschland. Unter den Abreibungen, die er dem Kollegen aus Speyer zusandte, fiel der Basler Druck aus der Offizin von Heinrich Petri aus dem Jahr 1542 auf, der die Signatur 12 C 7 aus der Bibliothek der Franckeschen Stiftungen trägt.3
Dr. Jürgen Vorderstemann nahm mit Dr. Britta Klosterberg, Leiterin des Studienzentrums August Hermann Francke, Kontakt auf und bat sie, den Einband zu überprüfen. Sie stellte fest, dass im inneren Vorder- und Hinterdeckel des Schweinsledereinbands sich ein etwa sechs cm breiter Streifen durch das Einbandpapier abzeichnete, der nicht nur deutlich zu erkennen, sondern auch zu ertasten war bzw. im hinteren Spiegel heute immer noch ist. Deshalb entschied sie, dass zumindest das Papier im vorderen Spiegel in der Restaurierungswerkstatt in Leipzig vorsichtig abgelöst werden sollte. Der Verdacht des Kollegen Vorderstemann bestätigte sich: Auch dieser Band enthält Fragmente eines Doppelblatts aus dem zerschnittenen Codex. Um das ganze Fragment zu lösen, müsste der gesamte Band auseinander genommen werden. Darauf wurde verzichtet. Die Bindetechnik, die Heftung um den Buchrücken herum, entspricht aber genau der des Speyerer Bandes. Im September 2004 kam Herr Dr. Vorderstemann nach Halle, sichtete den Fund und transkribierte die Verse. Der Zufall will es, dass das Fragment gerade da anschließt, wo der Speyerer Text mit Lagenende und Reklamant endet. Dies und die handwerklichen Parallelen deuten darauf hin, dass die beiden Bände nacheinander von derselben Person gebunden wurden, die die ihr als Makulatur vorliegende Handschrift systematisch zerschnitt. Dieser Buchbinder war, so das Ergebnis der Indizien, Mitte der vierziger Jahre des 16. Jahrhunderts im südwestlichen Raum Deutschlands tätig.
Das Fragment weist dieselbe Art der Initialen und Versalien auf, die bereits Eduard Schröder für das Fuldaer Fragment beschrieben hat. Schröder bezeichnete den Sprachstand als alemannisch und datierte die Handschrift auf die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts, während Siegmund Prillwitz 1975 die Handschrift auf die Mitte des 14. Jahrhunderts datierte. Jürgen Vorderstemann hat die Funde 2008 in einem Aufsatz in der Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur beschrieben und dort auch die Verse abgedruckt. Mittlerweile ist das Fragment im online zugänglichen Handschriftencensus. Marburger Repertorium deutschsprachiger Handschriften des 13. und 14. Jahrhunderts mit weiterer Fachliteratur nachgewiesen.
Das Besondere an dem Fund ist, dass durch den systematischen Vergleich von Bucheinbänden Fragmente aus einer mittelalterlichen Handschrift in drei deutschen Bibliotheken entdeckt worden sind.

Was wissen wir über den Inhalt des Fragments?

Rudolf von Ems war ein Dichter und Epiker, der mehrere literarische Werke hinterlassen hat. Er stammte aus einem Adelsgeschlecht in Vorarlberg, der Familie von Ems, und stand in Diensten des Grafen von Montfort. Sein literarisches Schaffen ist zwischen 1220 und 1254 zu datieren. Seine Vorbilder sind Heinrich von Veldecke, Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbach und Gottfried von Straßburg, also die wichtigsten deutschsprachigen Autoren des Mittelalters. Um 1225 bearbeitete er den Stoff von Barlaam und Josaphat. Bekannter sind sein Alexanderroman und seine Weltchronik, die als erste deutschsprachige Weltchronik anzusehen ist. Das Versepos Barlaam und Josaphat ist eine aus dem Griechischen ins Lateinische übertragene Bearbeitung einer Sage, die von dem indischen Königssohns Josaphat handelt, der von dem Eremiten Barlaam zum Christentum bekehrt wird. Rudolf von Ems dichtete das Werk in Opposition "gegen Lug und Trug der weltlichen Aventuren", um den Sieg des Christentums zu verherrlichen. Dieses Werk war ziemlich weit überliefert. Es sollte den Menschen einen Leitfaden zu ihrer christlichen Lebensführung und Besserung in die Hand geben und die vorbildhafte Bewährung eines christlichen Fürsten aufzeigen. Der Roman besteht aus 16.244 Versen.4 Das Fragment aus dem Buch in der Kulissenbibliothek führt 71 Verse auf. An einer Stelle ist der Name "barlaam" gut erkennbar. Josophat kommt nicht namentlich, sondern als "kunec" in dem Fragment vor. Die erste Textstelle des Fragments (Bl. 1ra Verse 4615-1623) ist eingefügt in einen Dialog zwischen Barlaam und Josaphat, in dem es um den sündigen Lebenswandel in der Welt geht. Erzählt wird ein Exempel, im Text "bispel" (beispiel) genannt, das die Not des Sünders mit der lebensbedrohlichen Lage eines Mannes vergleicht, der von Tieren bedroht wird. Dieser Mann wird von einem Einhorn gejagt. Auf der Flucht fällt der Mann in einen Abgrund und kann sich in größter Not an dem Ast eines Bäumchens festhalten. Kaum hat er sich vor dem Einhorn in Sicherheit gebracht, droht ihm ein Feuer speiender Drache nach dem Leben zu trachten, der unter ihm im Tal liegt. Darauf beziehen sich die Verse 4650-4655 auf Bl. 1rb.

Die Deutung gibt der Dichter selbst. Das Einhorn steht für den Tod, das Bäumchen steht für das Leben, das Feuer des Drachens für den Abgrund der Hölle. Solche Allegorien, also das Denken in Analogien, sind typisch für die mittelalterliche Literatur.

Wie kam das Buch in die Bibliothek der Franckeschen Stiftungen?

Als Jürgen Vorderstemann seine Recherchen anstellte, fragte er auch nach der Provenienz des Druckes, also danach, wer das Buch besessen hat, bevor es in die Bibliothek der Franckeschen Stiftungen gekommen ist. Dies konnte erst nach seinem Fund von 2004 geklärt werden. Denn von 2007 bis 2011 fand ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Projekt "Rekonstruktion, Katalogisierung und Provenienzverzeichnung von Pietistenbibliotheken" im Studienzentrum August Hermann Francke statt. Im Rahmen dieses Projekts konnte nachgewiesen werden, dass das Buch aus der Privatbibliothek Carl Hildebrand von Cansteins (1667-1719) stammt, der testamentarisch das Waisenhaus zu Halle als Universalerben einsetzte. Denn Canstein führte einen Bibliothekskatalog, der heute noch im Archiv der Franckeschen Stiftungen erhalten ist und auf Blatt 45 unter den Libri Theologici den fraglichen Titel verzeichnet: Eusebii opera Basil. 1542.5
Canstein war der wichtigste ideelle und finanzielle Förderer August Hermann Franckes und des Halleschen Waisenhauses. Heute ist sein Name vor allem mit der ersten Bibelanstalt der Welt verbunden, die in Halle 1710 ihren Anfang nahm und später nach ihm Cansteinsche Bibelanstalt genannt worden ist. Cansteins ca. 11.000 Titel umfassende Privatbibliothek, darunter 1.054 Titel aus dem 16. Jahrhundert, gelangte 1720 in die Bibliothek der Franckeschen Stiftungen. Seine Bibliothek kann zum einen als eine über Generationen gewachsene Adelsbibliothek universalen Zuschnitts, zum anderen als eine Bibliothek eines theologischen Laien charakterisiert werde, der die Reformbewegung in der evangelischen Kirche unterstützte, die später Pietismus genannt wurde. Fast 300 Jahre sollte es dauern, bis in einem der Bücher aus seiner Bibliothek ein lange gehütetes Geheimnis entdeckt wurde: das Fragment der mittelhochdeutschen Handschrift in dem Buch aus dem 16. Jahrhundert mit der Signatur 12 C 7, das in der zweiten Regalreihe rechts vom Mittelgang der Kulissenbibliothek eingeordnet ist.


  1. Eusebius Caesariensis: Opera omina. Basel: Petri, 1542. Halle, Bibliothek der Franckeschen Stiftungen: 12 C 7. 
  2. Klaus Klein, Anne Ziegenbein und Jürgen Vorderstemann: Neue Fragmente von Rudolfs 'Barlaam' . In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 137, 2008, 66-88; darin Abschnitt III von Jürgen Vorderstemann, ebd. 80-88. 
  3. Die Originale der Abreibungen befinden sich heute in der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, die ein wichtiges Zentrum in Deutschland für den Nachweis von Bucheinbänden ist und wo in Kooperation mit anderen Bibliotheken eine Einbanddatenbank (EBDB) aufgebaut worden ist. In Halle verblieben die Kopien der Abreibungen. 
  4. Bibliotheca Augusta. URL: https://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/13Jh/RudolfvonEms/rud_bart.html (letzter Zugriff: 04.05.2020). 
  5. Katalog der Privatbibliothek von Carl Hildebrand von Canstein. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen: AFSt/H G 3. 
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