Nr. 254 A.H. Francke an Ph.J. Später 29. 11. 1704
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chische Schule gelauffen, und daselbst einen Collegen 20 vor allen Kindern 45 mit schrecklichen Scheltworten angefallen, darinnen sie doch ihr offenbares Unrecht nicht erkennen wollen, sondern wenn sie von Herrn Freylinghausen ermahnet worden, ist das ihr letztes gewesen, daß sie uns für Seelen=Mörder und Seelen=Diebe gescholten und damit fortgegangen. Nachhero ist ihr vom Consistorio, da sie hoch schwanger gewesen, ein anderer Beichtvater, nemlich 50 Mag. Schärfer 21 , verstattet worden 22 , bey welchem sie auch geblieben, und uns, so viel ich weiß, nicht wieder angesprochen hat admittiret zu werden. Ihr Mann hat bey einer Commission in Glaucha angelobet, vom Sauffen und Besuchen der Schenck=Häuser abzustehen, oder seines dienstes verlustig zu seyn 23 ; Er hat aber noch nicht den Anfang gemacht, es bleiben zu laßen. 55
Sölten wir alles beschreiben, was so wohl ich, da ich noch allein im Amt gewesen, als nachhero auch Herr Freylinghausen mit diesen Leuten für Un- gelegenheit gehabt, würde es allzuweitläufftig seyn. Wir können aber nichts weiter thun, als daß wir, wie gesagt, es auff die Untersuchung ankommen laßen 24 ; tragen indeßen ihr ungebührliches bezeigen in christlicher Gedult, 60 und wünschen von Hertzen ihre Beßerung, wiewol menschlicher Weyse wenig Hoffnung dazu ist. Was wir am meisten bey der Sache betauren, ist dieses, daß die Glauchische Jugend mit diesem Manne übel versehen, und umb deßwillen in derselben Schule wenig gutes ausgerichtet werden kan.
Hiemit verharre 65
Ew[e]r HochEhrwürden Meines im HErrn geliebtesten Vaters Gebeth- schuldigster
Augfust] Hermann Francke.
Halle den 29. Nov. 1704.
20 Außer Wiegleb (s. Anm. 10) als Rektor und Diakon und Bude (s. Anm. 8) als Kantor gab es an der Glauchaer Schule einen Rector adjunetus, der zugleich Organist war und um den es sich hier handeln muß (vgl. Dreyhaupt 2, 783). Name und Lebensdaten wurden nicht ermittelt.
21 Johann Andreas Schäffer (18.3.1633-23.1.1708), geb. in Halle; 1654 Studium in Leipzig (1658 Magister), 1659 in Jena; 1663 Adjunkt an St. Ulrich in Halle, 1667 Diakon, 1689 Oberdiakon ebd. (Dreyhaupt 2, 707; Auskunft Pfarrerkartei der KPS).
22 Die Erlaubnis, bei Schäffer zu beichten, muß Frau Bude spätestens im Jahre 1702 erhalten haben (vgl. das Memorial M. Budes vom 23.5.1704 [s. Anm. 6]).
23 Offenbar die Visitation des Jahres 1696 (s. Anm. 13).
24 S. Anm. 19.