Weimar. 1722. Januar. 25.1
armen Bürger, und einfältigen Bauren gescholten wer-
den, so bald aber der unansehnliche Prediger in einen Hel-
den Glauben es waget wie der heilige Ambrosius einem
großen sündigenden Kayser, wie der tapffere Jo-
hannes einen falschen König Herodem, wie der ar-
me Zimmer Geselle Christus Jesus, weitberühmte Pha-
risäer, die er Ottergezüchte nennete, behertzt zu stra-
fen, als denn will die Welt gantz rasend werden. O
du blinde Welt! Bedenckest Du denn nicht, daß große
Herrn auch Sünder seyn, daß, ob sie gleich aus Königlichen
und Fürstlichen, dennoch auch aus sündlichen Saamen gezeu-
get sind.
( ) Daß auch Könige und Fürsten einen garstigen alten
Adam haben, wie Bürger und Bauer? Bedenckest du nicht
daß große Herren Ergerniß weit mehr einreißet, als
der niedrigen, in Bürger- und Bauerhütten wohnenden
Ergernisse? Bedenckest du nicht, daß die Hohen über wür-
den zufrieden seyn, so iemand bey Auslegung der Worte:
Also hat Gott die Welt geliebet, wolte lehren, die Hohen
gehöreten nicht zu der Welt, Christus wäre vor sie nicht
gestorben? Ey würden sie sagen. Wir haben das Recht zu
den Wunden Christi so gut, als andere Menschen. Mercken
treue Lehrer daß sie das Recht durch unaufhörliche Tod-Sün-
den und beharrlichen Unglauben würden verliehren,
so müßen sie unverzüglich über solche schnöde Unacht-
samkeit eifern. Bedenckest du nicht, daß auch vor große
Herren die Hölle gebauet ist, sintemahl der Prophete spricht:
Die Hölle ist auch den Könige bereit?
( ) Erwege selbst, wenn die Hohen auf Erden eben solche
Sünder sind, wie die Niedrigen auf Erden? Wenn der
Hohen Ergerniß weit mehr einreißet als der niedri-
gen? Wenn dem Vornehmsten, so wohl als dem ge-
ringsten die Hölle aufgebauet ist? Ey so ist es billig
und

( ) P. LI.
( ) Es. XXX. V. 33.

  1. von fremder Hand