Weimar. 1722. Jan. 25.1
solte es nicht schwer fallen, alle Heiligen zu tadeln. Gehe doch, o
Welt, mit mir einmahl an den Berg Sinai und bedencke wie der gro-
se heilige Arons sein Herr Gott, ich meyne Mosen der mit Gott ge-
redet, der zwey steinerne Tafeln des Gesetzes bekommen, als er
unten in Lager der Israeliten Kalb erblicket, in einen so heffti-
gen Eifer gekommen, daß er die Tafel in stücken zerschmissen,
welches ein scheinbarer Fehltritt war, so wirst du bey einen gro-
sen Heiligen, und grossen Eiferer gewiß nicht einen kleinen Feh-
ler erblicken. Wilstu tadlen, so tadle also: Moses war wohl ein
großer Heiliger, und großer Eiferer, aber er machte es zu grob,
und schmieß die Tafeln des Gesetzes in stücken, die er doch in der
Bundes-Lade solt aufheben; Fahre fort zu tadlen, Herr Dr Treuner
er machte es aber zu grob und schmiß die Tafeln auch in stücken,
so wird sichs befinden, daß beyde einerley Schwachheits Sünden
begangen haben. Wir lesen in der Schrifft nicht, daß der liebe Gott
Mosi diesen Fehler angerechnet, wir die wir noch lange nicht Gott
sind, wollen nach der Liebe künfftig sagen: HErr Dr. Treuner
hat wohl geschienen die Tafeln in Stücken zu zerschmeissen, seines
Hertzens Meynung aber ist nichts anders gewesen, als die Tafeln
zu erhalten. Liebes Weimar! Die Zeit kann dir nahe seyn, da hohe
und niedrige seufzen werden: Wolte Gott, Herr Dr Treuner lebte
noch. Die Gerichte können schon vor der Thür seyn, welche unsere
Sünden mehr und mehr haufen, welche diesen Wunsch würcken
werden: Wolte Gott Herr Dr. Treuner lebte noch, jetzt brauchten
wir diesen Mann ietzt //jetzt// würde er alß ein Heldt und ährne Mauer
für den Rüß gestanden haben. Allein es ist nicht nöthig, daß wir
solche Klagelieder erst ins Künfftige erwartten, wer heute mit
dieser Leuche durch die Stadt gezogen wird bezeugen, daß von der
werthesten Bürgerschafft und von gantzen Gemeinen und Dorff-
schafften, welche diesem Begräbniß Volckreich beygewohnet, so viel
LiebesThränen, alß unbetrügliche Zeugen der Liebe sind vergoßen
worden, welchen, wenn Sie in einen Sack solten gezehlet
und gefaßet werden, ein Maas von vielen tausenden aus-
tragen würden. Was dürffen wir solche Klagen erst
künfftig erwartten, es beklagen anietzo so gar mit unschätzba-
resten FürstenThränen den Abschied dieses Mannes Gottes seine
Hochfürstl. Durchl. unser gnädigster Herr Herr Ernst August
so wohl auch die Durchl. Theureste Gemahlin, Frau Eleonora
Wilhelmina unsere Gnädigste Landes Mutter, Fürstin und
Frau, welche mir dero unterthänigsten Diener höchst gnädigst
mit großen Nachdruck anbefehlen laßen, diesem aus dem
Reiche

  1. von fremder Hand