Herrn Doctor Knapp. Hochwürden
Innigstverehrter Herr Doctor!
Madras d. 14ten August 1818.
Aufgemuntert durch meinen l. Freund Herrn Deocar Schmid entschloß ich mich folgen-
des Nachrichtliche, mich u. meine Reise betreffend an Sie einzusenden. Ehe ich //aber// etwas von meiner Reise
nach Indien erwähne, erlauben Sie mir einen kurzen Ueberblick zu geben; wie ich von der göttlichen
Vorsehung vorbereitet u. zu der Theilnahme an diesem großen Wercke hingeleitet wurde. Und um
dies desto beßer thun zu können werde ich einen kurzen Umriß meiner Lebensbeschreibung hinzufügen.
Ich wurde im Jahre 1789 in Stettin in Pommern gebohren und kaum hatte ich das Licht dieser Welt
erblickt, da ich schon fühlen mußte daß ich ein Mitgenoße am Leiden war, zwar als unmündiger Säugling nicht //so klar// u. bewußt
der Leiden; aber doch ein Mitgenoße an den für meine Mutter herben Verlust meines entschlafenen Vaters.
Ich erkannte es nicht wie viel sie u. ich verlohr u. verstand noch nicht die Thränen der Mutter, wenn schon die liebevolle
Hand der göttlichen Vorsehung über mir in Gnaden waltete u. für mich aufs liebevollste u. weiseste sorgte – Meine
mir unvergeßlich bleibenden Großeltern nahmen sich meiner mit sorgfältiger Liebe an, u. da sich meine geliebte
Mutter wieder in den Stand der Ehe begab nahmen sie mich zu sich in ihr Haus u. mein Großvater deßen Name
Hardrath ich mit kindlicher Ehrfurcht u. nie sterbender Danckbarkeit nenne, richtete als ein practischer u. weiser
Christ seine vorzüglichste Aufmerksamkeit auf meine Erziehung. – Er wurde mein Erzieher, u. nicht nur für die-
se Welt der Thränen u. Sorge; sondern auch für die weit beßere, welche jenseits des Grabes beginnt, für welche wir
hier im Zubereitungs-Zustande leben! – Nie vergeße ich seine unerschöpflichen Bemühungen mir den Herrn Jesum theuer
und werth zu machen. Da ich anfing Begriffe zu bilden u. Gegenstände um mich her deutlicher zu verstehen, fing er an
mir, in den stillen Abendstunden Geschichten des alten und neunen Testaments in dem faßlichen u. meinem Begreifungs-
vermögen angemeßenen Stiele zu erzählen, welche so sehr meine Aufmerksamkeit an sich zog[en] u. meine Wißbegierde
weckten, daß ich mit vielen Fragen ihn oft beschäftigte u. mehren Aufschluß suchte. Viele gute Eindrücke empfing da meine
Seele! Jedoch diese hätten leicht in reiferen Jahren durch die mannigfachen Dinge die dann mein Herz füllten, u. durch
den jugendlichen Leichtsinn, der sich auch leider! mir mittheilte, hinweggelöscht werden können, wenn nicht noch etwas
Anderes sie bleibender gemacht u. in mein Herz gegraben hätte; u. dies war sein wahrhaft exemplarischer christlicher
Wandel, seine edle Denk- u. Handelsweise, welche sich oft so laut durch Thatsachen aussprach. Dies redete stärker
zu meinem Herzen als irgend etwas Anderes, durch dieses wurden seine Lehren brachtvoller an meinem Herz.
Wen ich ihn sah in seinen Geschäften u. fand, daß er dem gemäß handelte, was er mir von der Lehre Jesu mit-
getheilt hatte; wen ich ihn beobachtete im Familien Kreise u. in gemischten Gesellschaften; in der Einsamkeit u.
im Verkehr mit der Welt, wen ich ihn sah in den für mich so genußreichen Stunden, wo er sich mit seinen christlichen
Freunden über himmlische Gegenstände u. christliche Wahrheiten unterhielt; u. wenn er ohne Rücksicht der Person einen
Spötter u. Freydenker mit Ernst seines Spottes verwies: in allem leuchtete der Christ hervor u. sprach mein
Herz an, ihn nachzuahmen u. so glücklich als er zu werden. Es trug sich oft zu daß ich mich dem Orte durch Zufall
- oder vielmehr durch die Hand deßen geleitet, der den Zufall ordnet – näherte, wo er sein Herz im brün-
stigen Gebete vor seinem himmlischen Vater entledigt u. aller seiner Sorgen u. Freuden gedachte. Und nie
konnte ich ihn hören ohne nicht mehr Ehrfurcht u. Liebe für ihn zu fühlen. Aber ich sah ihn auch fehlen als Mensch -
u. wie konnte es anders seyn - Doch sein demüthiger Sinn mit dem er seine Fehler selbst eingestand, u. die
Vergebung der Beleidigten suchte, - u. wie ich nachher Gelegenheit zu bemerken hatte – er in seinen
täglichen Gebeten vor Gott alle seine bewusten Fehltritte bekannte u. um Vergebung bath, machen allen
nachtheiligen Eindruck von meinem Gemüthe u. machte ihn mir noch schätzenwerther. -
Es war ungefähr in meinem neunten Jahre, da diese Eindrücke, welcher dieser theure Mann u. die durch
ihn meinem Herzen eingepflanzten Wahrheiten auf mein Herz machten, durch die Wirkungen des heiligen
Geistes kraftvoll sich bezeugten. Ich fühlte eine Unzufriedenheit mit mir selbst, u. erkannte die Noth-
wendigkeit, mein Leben zu ändern. Auch machte ich Versuche, die aber, leider! von keinem Bestand
waren. Leichtsinn verdrängte bald alle ernsten Gedanken wieder u. die erwähnte Unzufriedenheit
nahm wieder Besitz von meinem Herzen. So war mein Gemüth beschafen, da die Zeit herannahe-
te wo ich mein Glaubensbekenntniß an heil. Stätte ablegen sollte. Dem Tag vor dieser heiligen Handlung
nahm mein theurer Großvater mich mit sich in sein Kabinett u. betete mit mir u. nach dem Gebete
übergab er mir einen von ihm geschriebenen Aufsatz, welcher die Handlung des nächsten Tages be-
traf u. Aufmunterung und Lehren für‘s künftige Leben enthielt, die tief in mein Herz sanken. Am
13ten. April 1803 als den Tag da ich mein Glaubensbekenntniß ablegte u. als ein Glied der sichtbaren
Kirche Xsti anerkannt wurde, gab ich dem heiligsten Entschlüßen Raum, u. dachte ernsthaft den großen
Gedanken nach zur Ehre Gottes zu leben. Ich hielte es zu der Zeit für unmöglich, daß ich wieder in
die vorige Gleichgültigkeit gegen die wichtigste Sache meines Lebens zurücksinken könnte. Aber die
nachherige Erfahrung belehrte mich eines Andern. Ich traute, auf meinem Entschlüße u. eigne Kraft zur
Beßerung, ohne zu dem Herrn Jesu, meiner der durch die einzige wirkende Ursache aller wahren u.
standhaften, durchs ganze Leben festgesetzten Beßerungen ist, meine Zuflucht im Gebet u. Vertrauen
zu nehmen; ohne vor ihm mich zu demüthigen u. Vergebung meiner Sünden zu erflehen u. Kraft
zur wahren Sinnesänderung u. Heiligung zu suchen. Daher fand ich ohnmächtig in meine Gleichgül-
tigkeit wieder zurück u. vergaß meine hohe Bestimmung für jenes erhabene Leben so ganz, daß
mich blos nichtige u. irrdische Dinge beschäftigten. Der Zerstreuungsliebe u. dem Leichtsinne Raum
gebend leitete mich eine Begierde u. unersätliches Verlangen nach sinnlichen Vergnügungen u. dies
ließ meine Seele stets leer von wahrhaft befriedigenden Guten, u. füllte sie mit Unzufrieden-
heit, welche mich recht unwohl machte, besonders wenn mein Gewißen ernsthaft sprach, u. Gedanken
das gewiß eines eintretenden Todes vor meine Seele traten. -
Dies ist das nicht erfreuliche Bild in welchem ich mich in meinem drey zehnten Jahre, der
Wahrheit gemäß zu schildern haben, u. in welchem ich keinen meiner Leser getroffen zu seyn wün-
sche! Es //war// in diesem meinem Lebens-Jahre, da ich die lange nachgesuchte Erlaubniß von meinen Groß-
eltern erhielt, u. eine Seereise nach London mit meinen Onkel anzutreten. Diese Reise entfern-
te mich eine für Ein ganzes Jahr von meiner l. Vaterstadt u. den l. Meinigen. Es war im Spätjahre
da wir London wieder verließen u. auf unserer Seereise heymwärts waren, als ein heftiger Sturm
auf der Nordsee uns nördlich verschlug u. uns großen Gefahren aussetzte. Besonders war eine
Nacht traurig für mich, wo das Schiff //von// den mächtigen Wellen herumgeworfen so angegriffen
wurde, daß es auf den Pungten (dem technischen Ausdrucke gemäß) getragen werden mußte u.
sehr viel Waßer einnahm. Ich saß in der Kayüte, nachdem ich schlafend aus meinem Bette ge-
worfen war durch die heftige Bewegung u. dachte bey dem beständigen Krachen zusammenstürzen-
der Wellen, u. dem Lärmen auf dem Verdecke über mich selbst, über Tod u. Ewigkeit nach, u.
legte mir (unwiderstehlich fühlt ich mich dazu gedrungen) die prüfende Frage vor; wie es mit mir
seyn würde, wenn ein Abruf zur Ewigkeit an mich gelangte. Ich konnte keine mich beruhigende u.
befriedigende Antwort auf diese Frage finden. Sie mit Leichtsinn zu übergehen war wahrlich keine
Zeit, indem der Tod gleichsam an die Thüre klopfte durch die hereinschlagenden Wellen. Ich sank
wieder auf meine Knie u. bath dem Herrn um Vergebung aller meiner Sünden, u. versprach
ich wollte mein Leben beßern, wenn meine Lebenszeit verlängert würde. – Noch nicht hatte ich
an meine eigene Kraft verzagt und mein eigenes Würken aufgegeben – O! wie schwer fält es
doch ehe der Mensch sich demüthiget unter der Hand Gottes! Er versuchet alles möglich um sich selbst
zu helfen u. durch seine Tugend selig zu werden, wenn er es nur vermeiden kann aus Gnaden selig
zu werden. - Die heiligsten Entschlüsse u. Vorsätze wurden gefa wieder auf’s Neue gefaßt u. kein
Zweifel an der treuen Erfüllung deselben hatte Raum in meinem Herzen. Am nächsten Tage
wurde die Gefahr noch drohender für uns, nicht nur da das Schiff noch mehr Wasser einnahm;
sondern eine Welle brach über unser Schiff u. indem sie auf das Verdeck fiel erbebte das
ganze Schiff u. stand fünf Minuten unbeweglich, sie faßte im Ablauf eines unserer Bothe u.
warf es über Bord wodurch die eine Seite des Schiffs sehr bedeutend beschädigt wurde u.
das andere Both war an die andere Seite geworfen. Eine zweyte Welle der Art – nach der Aus-
sage jener Seeleute – hätte uns mit Eile zum Untergang bereiten können. Es wurde in Eile
alles über Bord gehauen was im Wege war u. das andere los stehenden Both so bald als möglich
befestigt. In diesen drey oder vier Tagen, daß der Sturm fortwährte konnten wir nichts warmes genießen
da die überschlagende See immer das Feuer auslöschte. - Aber nach einigen Tagen änderte
u. mäßigte sich der Sturm u. begünstigte uns so daß wir in wenigen Tagen Elsinguer er-
reichten u. nach wenigen Tagen segelten wir in die Ostsee, wurden aber durch uns begegnende
Eise zurückgetrieben u. genöthigt in Copenhagen einzulaufen u. zu überwintern. Im Früh-
linge des nächsten Jahres erreichte ich meine l. Vaterstadt Stettin u. erfreute mich des Wieder-
sehens aller meiner Freunden u. Verwandten. Aber ich stand auch wieder am Grabe meiner
guten Entschlüße, welche alle wieder mit der Zeit hinweggestorben u. nicht einer von denselben
in Wirklichkeit gebracht war. Und doch sehnte ich mich beständig nach mehrer Glückseligkeit, nach Etwas
das meine Seele sätigen u. befriedigen könnte, das mir mehr Zufriedenheit verschafte; aber ich suchte
es vergebens in dem Vergnügen u. Genüßen dieses Lebens; u. von der Stimme meines Gewißens
u. von der Aufforderung mich als einen armer Sünder zu Jesu zu machen u. von ihm alles zu erwarten wante
ich