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er etwa nicht in meinen Sinn und Willen einstimmte."
Eben diese Schwester, die einen- sehr ernsten, christlich
frommen Sinn hatte, sprach oft und angelegentlich mit ihm
über Religion, was nicht ohne Eindruck aus sein Gemüth
blieb, aber doch nicht sofort eine völlige Sinnesänderung
bewirkte. Diese erfolgte später, als er die unerwartete
Nachricht von dem Tode seines Vaters erhielt. Auch für
ihn war der Schmerz ein Bote Gottes, und aus dem Tode
ging auch für ihn ein neues, besseres Leben hervor. Wäh¬
rend er den Verlust eines irdischen Vaters beweinte, wurde
er näher und auf immer zu dem himmlischen hingezogen,
dem er fortan sein ganzes Leben zum wohlgefälligen Opfer
bringen sollte. — Denn bisher hatte er noch immer nicht
das Gefühl der Demuth in seinem Herzen, welches der
Prüfstein des wahren Christen ist, der, zur innigen Erkennt¬
niß seiner Sündhaftigkeit gekommen, einzig in der göttlichen
Gnade, wie sie durch Jesum Christum sich geossenbaret hat,
Trost und Heil findet. Darum behagte ihm auch das vor¬
treffliche Buch von Dod dridge, Anfang und Fort¬
gang der Gottesfurcht in der menschlichen
Seele, nicht, weil darin auf die Demuth so sehr gedrungen
wird. Wohl war er ganz damit einverstanden, was der Ver¬
fasser gleich zu Anfange sagt: „Der Mensch ist unter
allen Geschöpfen der Erde allein der Gottes¬
furcht fähig — er ist ursprünglich dazu be¬
stimmt; aber was sogleich hinzugesetzt wird: und den¬
noch verachtet er, zu seiner eigenen Schande,
nichts mehr, als eben sie" —das meinte er wenigstens
auf sich durchaus nicht anwenden zu können; denn die selbst¬
gefällige Ehrbarkeit und Sittsamkeit, die an ihm von Andern
so sehr, und wie er glaubte, mit vollem Rechte gepriesen
wurde, hielt er eben in seinem eitlen Dünkel für jene Gottes¬
furcht und für völlig genügend, um ihm den Beifall Gottes
zu gewinnen, der ja wohl zufrieden seyn werde und müsse
mit dem, was er leiste und was er wolle, wenn es auch
nicht ganz vollkommen sey. Meinte er doch, so viel zu thun,
als er könne: aber eben diese Selbstzufriedenheit
war die Verblendung, in der er noch befangen war, wie
so Viele, die vollkommen gesund zu seyn und des Arztes
gar nicht zu bedürfen glauben, weil sie die Krankheit nicht
fühlen, die aber eben deshalb um so gefährlicher ist.