Leben deS evangelischen Missionars
Henry Martyn.
Unter den Verkündigern des Evangeliums hat eS wenig
gegeben, die an redlichem Eifer und an Demuth dem
Henry Martyn gleichen. Geboren im Jahre 1781 zu
Truro in der Grafschaft Cornwallis in England, beschäftigte
er sich, wie die meisten Knaben und Jünglinge, die sich
den gelehrten Studien widmen, auf der Schule und Univer¬
sität mit den Wissenschaften, ohne das Eine, was noth ist
zur ewigen Seligkeit, dabei im Auge zu haben. Er galt
übrigens für einen recht fähigen, liebenswerthen und hoff¬
nungsvollen Jüngling; denn sein Betragen war gefällig
und ehrbar, sein Fleiß löblich und seine Talente fanden
gebührende Anerkennung. Und dennoch war sein Herz, wie
er selbst spater bekennt, fern von dem eigentlichen Leben in
Gott, und als ein älterer ernster Freund ihn erinnerte, er
möchte doch sein Studiren nicht um Menschenlobes willen,
sondern um Gott zu verherrlichen, treiben, kam ihm diese
Ermahnung sonderbar vor — ein Beweis, daß er damals
wohl zufrieden mit sich selbst war und noch nicht erkannt
hatte, daß alle menschliche Weisheit und alles menschliche
Lob nichts ist ohne die göttliche Gnade. Der Ehrgeiz
beherrschte ihn noch und der Beifall der Welt galt ihm
noch Alles. Darum war es höchst niederschlagend für ihn,
als er nicht den ersten akademischen Preis erhalten hatte,
den er doch verdient zu haben meinte, und dieses Fehlschlagen
seiner ehrgeizigen Erwartungen hatte den traurigsten Einfluß
auf seine Gcmüthsstimmung und auf sein Betragen, als
er bald nachher in seine Heimath kam. „Die vollendete
Selbstsucht (sagt er selbst) und ausgesuchte Reizbarkeit äußerte
sich in Zorn, Schadenfreude, Neid, Stolz, Ruhmredigkeit
und Verachtung aller Menschen, in der barschesten Sprache
gegen meine Schwester und selbst gegen meinen Vater, wenn