Vorwort» Aas menschliche Leben ist theils ein äußeres, theils ein inneres, und wenn jenes leichter ins Auge fällt und selbst von dem, welcher die Person, deren Leben er beschreibt, nicht genauer und aus eigner Beobachtung kannte, genügend und im Zusammenhange dargestellt werden kann; so ist es weit schwieriger, das innere Seelenleben eines Andern aufzufassen, das sich dem Blicke des Beobachters, auch des nahe stehenden, so leicht entzieht, um ein treues Bild davon zu geben. Und doch, mag auch die Geschichte des äußern Lebens mit seinem überraschenden Wechsel und merkwürdigen Begebenheiten, mit seinen Glanzpunkten und Nachtstücken, noch so anziehend und belehrend seyn — ist gewiß das innere Leben, wofern es gehörig zur Entwickelung kommt, vornehmlich eines geistig reichbegabten Menschen, noch weit anziehender, lehreicher und erwecklicher. Ja die Geschichte des äußern Lebens gewinnt erst Zusammenhang und zugleich ihre rechte Deutung und gebührende Wür¬ digung, wenn damit die Einsicht in die Geschichte des innern verbunden ist. Aber die Schwierigkeit, diese Ein» ficht zu gewinnen, liegt eben darin, daß das Innere dem Beschauer verborgen bleibt, wenn auch das unbefangene Auge des scharfen Beobachters einigermaßen in seine dunkeln Tiefen einzudringen vermag — und darum sind Selbst-Biographien so belehrend und anziehend, vorausgesetzt, daß der Biograph sich selbst unbefangen und scharf beobachtete und seine Beobachtungen ohne Falsch mittheilte. Eben deshalb sind Tagebücher und Briefe an Freunde und Vertraute die reinsten Quellen, in denen sich, wie im klaren, stillen GeWasser, die geistige Gestalt des Schreibenden spiegelt, wie sie ist; denn hier ^- darf man annehmen giebt er sich ganz unbefangen |