mir, und ich bekam schmertzhaffte Löcher hier und dar in den selben. Mir gings in Tranquebar
alß einem der sich fürs Waßer fürchtet, und dahero in demselben sich nimmer zu weith gewaget
hat, ietzo aber unvermuthet und mit großem ungestüm ins tieffe Meer geworffen wird, da
Er nothwendig muß schwimmen können, ob ers gleich nimmer gelernet, oder er muß ertrincken
und sterben. Auf solche Arth mag ich meine damahlige Angst ausdrücken. Doch Gott hat mir
geholffen und alles überstehen laßen. Was ich in Tranquebar sonst Verrichtet haben möchte
ist ohnedem schon bekant aus den gedruckten Nachrichten. Ein gut theil von meiner Zeith und Arbeit
ist auf der Übersetzung der Bücher verwand worden, alß zum exempel, des Portug. Psalms,
der Malabarischen Gesänge und der Bibel, da ich wann man die Bibel in 5 theil betrachten
wolte, davon 3 theile ins Malabarische translatiret habe. Anno 1719 kam ich in Tranquebar
an und 1726. nahm ich eine Reise nach Madrass vor. Von derselben Zeith an, bis ietzo auf dem
heutigen tag, da ich dieses schreiben, den 20. Decbr 1732. Habe inzwischen die Bibel in die Wardugische
Sprache übersetzet, andere kleine Tractätlein, Grammatica und Vocabularium nicht einmahl zu
gedencken. Hier stehe ich stille und faße mit einem Reim Verss, den ich den 14. Octobr. 1714
gemachet, die gantze Summa wovon zu melden gedacht in eins zusammen, auf folgende
weise:
Es hat sonst Sonnenburg mich müßen erst bescheren
Hernach in Landesberg sechs Jahre durch ernähren
Berlin hat sonderlich mich fleißig wollen lehren
Und Halle hat vermocht, mich endlich zu bekehren.
Dies alles aber hat mir wollen Gott verehren,
damit ich seinen Ruhm auch möchte stets vermehren
Laß Höchster, nur die Welt mich nicht aufs neu versehren!
Ich bitte flehentlich, mir dieses zu gewehren!
Bis hieher habe dann berichtet, wie Gott mit einem heiligen und von meiner zarten
Jugend an offt wiederholeten Ruff zu sich beruffen habe, und wie ich endlich durch Gottes
kräfftigen Beystand mich und meinen Willen zu überwinden vermocht. Nun dörffte es
vielleicht geschehen, daß jemand der dieses zulesen bekäme, mich fragen wolte, wie ich mich
dann nachmahls befunden und erwiesen hätte, nachdem der Geist (der bishero wieder das
Fleisch in mir gestritten und endlich den Sieg erhalten) die Oberhand gekriegt und das
Regiment bekommen, ob mich denn die Feinde und das Fleisch nicht aufs neue wacker ange-
fallen und zubestürmen gebracht hätten, oder ob ich immer bis dato in den himmlischen Dingen
mit dem süßesten Vergnügen der Ruhe meiner Seele gewandelt hätte? Hierauf dienet
dis zur Antwortt: So lang als ich das erstemahl in Halle verblieb, nachdem aus dem
Tode ins Leben gekommen war, so habe ich fast ohne alle Versuchung meine tage in Friede hinge-
bracht, denn ich hatte mein Fleisch gekreutziget mit den Lüsten und Begierden, die gantze Welt
war mir Todt, ich ging mit verschloßenen Ohren, Augen und Munde und ließ den Feind nicht
die geringste Gelegenheit mir anzukommen, darzu wachete ich über meine Seele
und [... und lebe nur des] Hertzens, ja daß ich so reden
mag [... mehr ... und ...] überwundene Feinde
mir unter den Füßen lagen. Allein nachgehends hat die Welt an unterschiedlichen Orthen
ihr Müthlein an mich zu kühlen gesuchet, weil ich nicht in ihre Geselschafft tretten wolte.
Ehe mich die Leuthe erkanten, ließen sie mich zufrieden, in der Meynung ich währe ihres Sinnes.
Allein es konte doch über ein Viertel jahr nicht verborgen bleiben, alßdann gings an, daß die-
jenigen, die mich erst alß einen Engel aufgenommen, mich hernach für ihren Feind hielten,
und wohl halbe Jahre auf mich Maulen konten. Was die arme Seele hierüber zu leiden be-
kommet und wie sehr sie aus schwachheit in Trauren und Unmuth, ja öffters in die Sünde der Un-
gedult verfallen möge, das wißen alle Kinder Gottes aus ihrer eigenen Erfahrung beßer, alß ich
es hier erzählen kann. Der Teuffel, dem ich durch des Lammes Blut entrißen worden, hat nicht we-
niger seinen Grimm wieder mich bald auf diese bald auf jene weise an den tag geleget, sonderl.
da ich mich bemühete, ihm Kinder zu stehlen, oder die Gottlosen aus seinen Klauen zu verhelffen.
Unterschiedliche mahl bin ich mitten in der Nacht aus dem Schlaffe aufgeschrecket worden, und
da ich mich fürchthete, der böse Geist würde sich sichtbahrlich stellen, lieff ich voll bangigkeit zur Schlaff-
Cammer hinaus und weckte einige Leuthe auf. Mit Fleisch und Blut habe ich gleichfals viele Kämpfe
und Sträuse gehabt. Ob ich gleich öffters 2 bis 3 tage in einer Woche alß ich noch in Europa war, gantz
ungegeßen geblieben, und Arbeith genung hatte, so bin doch die Nächte verunruhiget worden mit
tollen Phantasien und Bösen träumen worüber ich große HertzensAngst empfunden, und nicht anders
gemeinet, ich wäre aus Gottes Gnade wieder gefallen, denn von dergleichen wuste ich in Halle
nichts, sondern es hieß bey mir: nach deinem Sieg (in mir) wird dir dein Volck opffern in heiligem
Schmuck! Wenn ich die Zeith bedencke von 1711 bis 1732, so mag ich aus dem schönen Liede: Ge-
liebten Freunde, was tut ihr so etc. wohl singen und sagen.
Hier habe ich müßen in Gefahr zu allen Zeiten
Mit Teuffel, Welt und Bösen Menschen streitten,
Viel Hertzeleyd erfahren und ertragen
in diesen Tagen
Doch eins tröste ich mich unter andern, daß ich bald werde aus allem jammer erlöset werden,
und weil ich denn auf meine Himmelfarth continuirlich meditire, so deucht mir, wann
ich durch den Todt abgeholet, ins Paradiess werde eingehen, da mich der Heiland wird
zu seiner Freude annehmen, so werde ich keine andere Anrede an Ihm halten, alß
diese aus dem Propheten mit diesen Wortten: Du hast mich je und je geliebet, darumb
hast du mich zu Dir gezogen aus Lauter Gnade und Güte.
 
Madras
1732
d. 22. Decembr.