Lebens Lauff.
C. W. Gericke
 
Ich bin d. 5ten April 1743 zu Colberg in Pommern gebohren. Mein Vater
ist Joachim Friedrich Gericke, der jetzt noch lebet, und als Bürger und Becker
zu Colberg wohnet. Meine Mutter war Dorothea Lucia geb. Bandelinin,
die in der lezten Colbergischen Belagerung 1762 starb. In der heil. Taufe wurde
mir der Name Christian Wilhelm beygelegt. In meinem vierten Jahr schickten
mich meine Eltern in die Schule, und Gott schenkte mir Gnade, daß ich in meinem
5ten Jahr lesen und einige 40 Sprü biblische Sprüche auswendig hersagen konte,
womit ich meinen Mitschülern zum guten Exempel, und meinen Eltern zur Freude
und Erbauung gereichte. Die wenige Wahrheiten, die mir in diesen Jahren
beygebracht wurden seegnete Gott so an meiner Seele, daß ich gar bald den
sanften Zügen des heil. Geistes gehorsam wurde. Ich hatte Lust zu Gottes Wort,
und fand mein einziges Vergnügen darinn, wenn ich in der Bibel und in
des HErrn von Bogatzky Schatzkästlein lesen konte. Daher entschlug ich mich der Gesel-
schaft ungezogener Kinder: und nach der Ermahnung Christi: gehe in dein Kämmerlein pp.
verschloß ich mich oft in meines Vaters Haus in eine Kammer und betete zu
Gott im verborgenen. Allenthalben wo ich allein, und von Geschäften war, beuge-
te ich meine Knie, und betete im Namen Jesu Christi zu Gott, auch that ich
dis öfters in unserer großen Kirche, welche des Tages 6 Stunden offen
steht, weil ich glaubte an diesem Ort eine besondere Erhörung meines Gebets
zu finden. Dis erhielt mein Hertz in einer steten Richtung zu Gott, und es
war mir, als wenn ich einen grossen Schatz verlohren hätte, wenn ich ein oder
ein paar Stunden meine Gedanken nicht auf Gott gerichtet hatte. Der
Sonntag war mir allezeit sehr geseegnet, und meine Eltern hatten nicht
nöthig mich mit in die Kirche zu nehmen: sondern von meinem 5ten Jahr //an// ging
ich selbst und öfters hinein, als meine Eltern ihrer häußlichen Umstände wegen
hinein gehen konten. Ins besondere habe ich die Predigten des Seeligen Magister
Richters, den ich alle Sonntage zweymal hören konnte, nie ohne Noth versäumet.
Denn in deßen Predigten konnte ich alles verstehen, und meinen Eltern wieder
erzählen. Allezeit, wenn ich nach der Kirche ging seufzete ich vorher zu Gott,
er möchte mich etwas hören laßen, das mir in meinem gegenwärtigen
Zustande
heilsam seyn könte. Ich war allezeit sehr bekümmert um meine Seeligkeit, und
öfters fielen
mir die Gedanken ein: Siehe! Gott weiß es nach seiner Allwisenht
schon, ob du an jenem Tage unter den seligen, od. unter den verdammten
wirst erfunden werden, was woltest du wohl anfangen, wenn du
in die
Allwißenheit Gottes hinein schauen, und schon zum voraus wisen köntest zu
welcher Parthey du am jenem Tage gehören wirst? Dis setzte mich oft in solche