Denn das ist noch das allerkleinste hiebey, daß der Mensch so verdorben, daß er auch nicht einmahl
ohne sonderbare Gnade Gottes sein Verderben erkennen noch glauben, viel weniger sich davon
erheben kann. d. 19. Feb.
Ein Paradoxon auf folgende weise. Die gläubigen sind die allerungläubigsten Leuthe auff Erden.
Ey! wie so? fragestu, es ist eine Versprechung wieder sich selbst: Denn wer kann gläubig und ungläu-
big eodem tempore seyn? Ich antwortte allerdings, sind die gläubigen die allerungläubigsten
eodem tempore, aber nicht eodem modo. Denn sie sind so ungläubig, daß sie nicht glauben, biß daß
sie an ihnen selbst, das sehen, hören und erfahren, was sie gern wolten. Sie glauben nicht daß
sie gläubig oder from sind, wenn andere Leuthe sie schon dafür halten, bis daß sie es selbst augenschein-
lich sehen, und bis es Gott in ihren Seelen erst bekräfftiget. Sie glauben nicht, das Christus in ihnen
wohne, wo sie es nicht aus allen Regungen und Bewegungen sehen und abnehmen. Sie glauben nicht
daß sie Kinder Gottes seyn wo sie nicht der Heil. geist treibe, in allen ihren Wortten, Gedancken und
Wercken. Sie glauben nicht, daß sie Gnade erlanget hätten, biß daß sie dieselbe haben. Sie glauben
nicht, daß sie rein worden, bis daß sie es würcklich empfinden. Sie glauben nicht, daß sie
im guten beständig seyn werden, wo sie nicht immer sehen, daß sie beständig an Gott hangen:
Sie glauben nicht, daß sie erleuchtet sind, wo sie nicht täglich das Gnaden Licht sehen. Sie glauben nicht, daß
sie geheiliget sind wofern ihre affecten und Begierden nicht stets zum guten gerichtet seynd, ja sie
glaubeten nicht, daß ein Gott währe, wenn sie ihn nicht hatten. Solche ungläubige Gläubige sind
mir die wahre Christen. Hingegen die Gottlosen sind die Gläubigsten. Denn sie glauben daß sie
ia from sind, ob sie schon das Wiederspiel sehen, hören, und mit Händen greiffen können. Diese werden
sich gewiß in die Hölle herunter glauben. d. 20. Aug.
Eine andere Meditation über der Bösen und guten Hoffarth, auf folgende weise.
Hoffarth und Hochmuth werden alß die schändlichsten Laster angesehen, und sie sinds auch, da
ein elender Wurm, der Mensch sich noch will erheben und etwas einbilden, aber alß wanns darumb
geschehe, weil er so böse und schändlich ist, denn sonst hat er ia keine andere Ursache darzu. Er ist
nichts, Er hat nichts, und er Vermag nichts. Dies, dies macht dieses Laster desto greulicher für alle andere,
daß man noch wil Hocheinherfahren und aufgeblasen hergehen, und sich über Gott und Menschen
erheben, da man ein jämmerlicher Wurm und Made ist: Wie nun dieses ein Abscheuliches
Ding ist, so ist hingegen in einem guten Sinn die Hoffarth gantz heilig, Christlich und nöthig. Diese
Hoffarth ist nichts andres alß wenn die Seele von der Erden auf und in die Höhe nach dem Himmel
fahret, wenn sie die irdischen Eitelkeiten mit allem ernst Verabscheuet und himlisch gesinnet
ist. Dieser Hochmuth ist der rechte Adel der Seelen, da die Seele sich nicht kan bey den schlechten
niedrigen Vergänglichen Dingen aufhalten, sondern nach hohen, herlichen und unvergänglichen
Güthern aufschwinget. Des Wiedergebohrenen Seele, hält täglich ihre Himmelfarth. Dieses
mag alhier genung seyn, denn alle meine Meditationes oder Auffschlüße zu erzählen,
würde zu viel Zeith kosten, und dennoch keinen sonderen Nutzen Versprechen, weilen man eben
dergleichen und noch viele beßere bey andern finden wird.
Den 16. Decbr. 1713 träumete mir des Nachts gegen Morgen der Spruch: Sie wird nicht mehr Hunger
noch [... und Gott wird ... Thränen von] ihren Augen, worüber ich ein Schlaffe
so erfreuet und getröstet [wurde], daß ich [...] ich aufwachete, so war es
auch würcklich so, ich hatte geweinet und meine Augen waren gantz naß von Trähnen.
An eben diesem tage aber bekam ich ein schreiben aus Landsberg an der Warthe, von dem Herrn de
Bonjour, welches ich nicht vermuthet, weil er nimmer //an mich// die gantze Zeith her aus gewißen ursachen
hatte schreiben wollen. In diesem Briefe ward ich verlanget zum Hoffmeister bey jungen Edel-
Leuthen; Weil ich ohnedem in Nöthen gerathen, indem meine Briefe und auch der letzte Wechsel
war aufgefangen worden, da ich einige Wochen immer zu Gott geseuffzet mit den Wortten
Davids: Hat denn Gott vergeßen gnädig zu seyn? So nahm ich mit Danck diesen Vorschlag an,
als eine Gelegenheit ietzo nach Hause zukommen, ich machte mich dann von diesem Tage an fertig
und ging den 20. Decbr. 1713 aus Halle forth, dergestalt, daß ich in Berlin die Weynachten,
in Cüstrin das Neuejahr, und an dem Orth, wo ich hinberuffen worden, das große
Neu-jahr feyrete. Meine Meditation aus Halle bis Berlin war über die Wortte:
Aller Augen wartten auf dich Herr etc. Wer alle diese Augen auf eins hätte sehen sollen,
die ich in meiner Meditation zusammengebracht, der würde gewiß wie man im
Sprichworte sagt, große Augen gemacht haben. Was meine Studia sonst anbetrifft, so habe
die Theses über 2 mahl gehöret und aufgeschrieben, item die gantze Hebräische Bibel
cursorie durchgegangen etc. die gantze Philosophia absolviret. Auch bey den Herrn Magister
Renden privatissime die Orientalischen Sprachen, sonderlich AEthiopisch und Arabisch,
gelernet. Zur verfertigung Grichischer und Hebräischer Verse hatte ich eine Besondere Neigung.
In meiner 2 jährigen Condition, denn länger war ich nicht willens zu bleiben, hätte ich eine
schöne Gelegenheit bey noch gantz unverführten gemüthern, mit Gottes Wortt etwas
an ihren Hertzen zu tendiren. Alß einsten mein Discipul welcher der jüngste
und beinahe 7 jahren alt war, versuchet worden, ob Er dann nicht einmahl auch spielen
wolte: So giebet Er nach seinem kindischen Begriffe diese Antwortt: Nein, das thäte Er
nicht, denn es stünde ja in seinem Gesangbuche (woraus Er insbesonders öffters vor sich
selbst singen ginge) daß der Teuffel durch sein spiel mich zur Höllen stürtzen will.
Die person wird darüber bestürtzet und kann dem Kinde nicht antwortten, sondern
läßet ihn stille von sich gehen. Ich hielt des tages 3 mahl mit ihnen eine Erbauungs Stunde
des Morgends, Abends und des Mittags gleich nach dem Eßen. Wie ich von einem guten
Freunde vernommen, so hatten sie keine ander Klage über mich, alß daß die 2 Kinder
zu viel bey mir lerneten, welches ia nicht nöthig währe, weil sie keine Doctores eben
werden solten. Es ist wahr, der kleine Knabe lernete im Ersten Vierteljahr durch gute
Anweisung Teutsch, Lateinisch und Französisch lesen. Obschon mir ietzo vier unterschiedl.
Conditiones hier und da angebothen wurden, so stand mein Gemüthe doch lieber dahin,
daß ich wieder auf Universität gehen wolte. Weil denn Franckfurth die näheste war,
so reisete ich dahin und ward bald mit dem Herrn Professor Wesenfeld bekant, sogar daß ich
in sein Hauß zu logiren das Anbiethen mit Freuden annahm. Hier fand ich nicht nur Gele-
genheit Erbauungs Stunden zu halten, sondern ich reitzete auch etliche Studiosos Theologiae
daß wir untereinander ein Collegium Biblicum anfingen, welches so lang
gedauret als
ich in Franckfurth geblieben. Auff verlangen gewißer Studiosorum laß ich ihnen den
ohne sonderbare Gnade Gottes sein Verderben erkennen noch glauben, viel weniger sich davon
erheben kann. d. 19. Feb.
Ein Paradoxon auf folgende weise. Die gläubigen sind die allerungläubigsten Leuthe auff Erden.
Ey! wie so? fragestu, es ist eine Versprechung wieder sich selbst: Denn wer kann gläubig und ungläu-
big eodem tempore seyn? Ich antwortte allerdings, sind die gläubigen die allerungläubigsten
eodem tempore, aber nicht eodem modo. Denn sie sind so ungläubig, daß sie nicht glauben, biß daß
sie an ihnen selbst, das sehen, hören und erfahren, was sie gern wolten. Sie glauben nicht daß
sie gläubig oder from sind, wenn andere Leuthe sie schon dafür halten, bis daß sie es selbst augenschein-
lich sehen, und bis es Gott in ihren Seelen erst bekräfftiget. Sie glauben nicht, das Christus in ihnen
wohne, wo sie es nicht aus allen Regungen und Bewegungen sehen und abnehmen. Sie glauben nicht
daß sie Kinder Gottes seyn wo sie nicht der Heil. geist treibe, in allen ihren Wortten, Gedancken und
Wercken. Sie glauben nicht, daß sie Gnade erlanget hätten, biß daß sie dieselbe haben. Sie glauben
nicht, daß sie rein worden, bis daß sie es würcklich empfinden. Sie glauben nicht, daß sie
im guten beständig seyn werden, wo sie nicht immer sehen, daß sie beständig an Gott hangen:
Sie glauben nicht, daß sie erleuchtet sind, wo sie nicht täglich das Gnaden Licht sehen. Sie glauben nicht, daß
sie geheiliget sind wofern ihre affecten und Begierden nicht stets zum guten gerichtet seynd, ja sie
glaubeten nicht, daß ein Gott wä
mir die wahre Christen. Hingegen die Gottlosen sind die Gläubigsten. Denn sie glauben daß sie
ia from sind, ob sie schon das Wiederspiel sehen, hören, und mit Händen greiffen können. Diese werden
sich gewiß in die Hölle herunter glauben. d. 20. Aug.
Eine andere Meditation über der Bösen und guten Hoffarth, auf folgende weise.
Hoffarth und Hochmuth werden alß die schändlichsten Laster angesehen, und sie sinds auch, da
ein elender Wurm, der Mensch sich noch will erheben und etwas einbilden, aber alß wanns darumb
geschehe, weil er so böse und schändlich ist, denn sonst hat er ia keine andere Ursache darzu. Er ist
nichts, Er hat nichts, und er Vermag nichts. Dies, dies macht dieses Laster desto greulicher für alle andere,
daß man noch wil Hocheinherfahren und aufgeblasen hergehen, und sich über Gott und Menschen
erheben, da man ein jämmerlicher Wurm und Made ist: Wie nun dieses ein Abscheuliches
Ding ist, so ist hingegen in einem guten Sinn die Hoffarth gantz heilig, Christlich und nöthig. Diese
Hoffarth ist nichts andres alß wenn die Seele von der Erden auf und in die Höhe nach dem Himmel
fahret, wenn sie die irdischen Eitelkeiten mit allem ernst Verabscheuet und himlisch gesinnet
ist. Dieser Hochmuth ist der rechte Adel der Seelen, da die Seele sich nicht kan bey den schlechten
niedrigen Vergänglichen Dingen aufhalten, sondern nach hohen, herlichen und unvergänglichen
Güthern aufschwinget. Des Wiedergebohrenen Seele, hält täglich ihre Himmelfarth. Dieses
mag alhier genung seyn, denn alle meine Meditationes oder Auffschlüße zu erzählen,
würde zu viel Zeith kosten, und dennoch keinen sonderen Nutzen Versprechen, weilen man eben
dergleichen und noch viele beßere bey andern finden wird.
Den 16. Decbr. 1713 träumete mir des Nachts gegen Morgen der Spruch: Sie wird nicht mehr Hunger
noch [... und Gott wird ... Thränen von] ihren Augen, worüber ich ein Schlaffe
so erfreuet und getröstet [wurde], daß ich [...] ich aufwachete, so war es
auch würcklich so, ich hatte geweinet und meine Augen waren gantz naß von Trähnen.
An eben diesem tage aber bekam ich ein schreiben aus Landsberg an der Warthe, von dem Herrn de
Bonjour, welches ich nicht vermuthet, weil er nimmer //an mich// die gantze Zeith her aus gewißen ursachen
hatte schreiben wollen. In diesem Briefe ward ich verlanget zum Hoffmeister bey jungen Edel-
Leuthen; Weil ich ohnedem in Nöthen gerathen, indem meine Briefe und auch der letzte Wechsel
war aufgefangen worden, da ich einige Wochen immer zu Gott geseuffzet mit den Wortten
Davids: Hat denn Gott vergeßen gnädig zu seyn? So nahm ich mit Danck diesen Vorschlag an,
als eine Gelegenheit ietzo nach Hause zukommen, ich machte mich dann von diesem Tage an fertig
und ging den 20. Decbr. 1713 aus Halle forth, dergestalt, daß ich in Berlin die Weynachten,
in Cüstrin das Neuejahr, und an dem Orth, wo ich hinberuffen worden, das große
Neu-jahr feyrete. Meine Meditation aus Halle bis Berlin war über die Wortte:
Aller Augen wartten auf dich Herr etc. Wer alle diese Augen auf eins hätte sehen sollen,
die ich in meiner Meditation zusammengebracht, der würde gewiß wie man im
Sprichworte sagt, große Augen gemacht haben. Was meine Studia sonst anbetrifft, so habe
die Theses über 2 mahl gehöret und aufgeschrieben, item die gantze Hebräische Bibel
cursorie durchgegangen etc. die gantze Philosophia absolviret. Auch bey den Herrn Magister
Renden privatissime die Orientalischen Sprachen, sonderlich AEthiopisch und Arabisch,
gelernet. Zur verfertigung Grichischer und Hebräischer Verse hatte ich eine Besondere Neigung.
In meiner 2 jährigen Condition, denn länger war ich nicht willens zu bleiben, hätte ich eine
schöne Gelegenheit bey noch gantz unverführten gemüthern, mit Gottes Wortt etwas
an ihren Hertzen zu tendiren. Alß einsten mein Discipul welcher der jüngste
und beinahe 7 jahren alt war, versuchet worden, ob Er dann nicht einmahl auch spielen
wolte: So giebet Er nach seinem kindischen Begriffe diese Antwortt: Nein, das thäte Er
nicht, denn es stünde ja in seinem Gesangbuche (woraus Er insbesonders öffters vor sich
selbst singen ginge) daß der Teuffel durch sein spiel mich zur Höllen stürtzen will.
Die person wird darüber bestürtzet und kann dem Kinde nicht antwortten, sondern
läßet ihn stille von sich gehen. Ich hielt des tages 3 mahl mit ihnen eine Erbauungs Stunde
des Morgends, Abends und des Mittags gleich nach dem Eßen. Wie ich von einem guten
Freunde vernommen, so hatten sie keine ander Klage über mich, alß daß die 2 Kinder
zu viel bey mir lerneten, welches ia nicht nöthig wä
werden solten. Es ist wahr, der kleine Knabe lernete im Ersten Vierteljahr durch gute
Anweisung Teutsch, Lateinisch und Französisch lesen. Obschon mir ietzo vier unterschiedl.
Conditiones hier und da angebothen wurden, so stand mein Gemüthe doch lieber dahin,
daß ich wieder auf Universität gehen wolte. Weil denn Franckfurth die näheste war,
so reisete ich dahin und ward bald mit dem Herrn Professor Wesenfeld bekant, sogar daß ich
in sein Hauß zu logiren das Anbiethen mit Freuden annahm. Hier fand ich nicht nur Gele-
genheit Erbauungs Stunden zu halten, sondern ich reitzete auch etliche Studiosos Theologiae
daß wir untereinander ein Collegium Biblicum anfingen, welches so lang
gedauret als
ich in Franckfurth geblieben. Auff verlangen gewißer Studiosorum laß ich ihnen den