alles so bloshin auf des Predigers Credit annehmen, oder sich für gut verkauffen lassen, was sie doch ungegründet und schlecht zusammenhangend zu seyn befinden“.?® Die delirierenden Kanzelreden von sich selbst überzeugter pietistischer Prediger aus Franckes Anstalten entpuppen sich als Katalysatoren eines von ihnen selbst so nicht gewollten Aufklärungsprozesses. Zu großer Unsinn macht das Publikum hellhörig und lädt zu kritischer Nachfrage ein, die gleich das ganze Gottesgeschäft zu beschädigen droht.
Im 19. Jahrhundert wechseln die Darstellungsvorzeichen und-formen. Der hallische Pietismus, der seine beste theologische und sozialreformerische Zeit hinter sich hat, wird zu einem Gegenstand der Historiografie. Die Poesie mit ihren Werkzeugen der Verhöhnung und des Verlachens hat Halle weitgehend beiseite gelegt und widmet sich verstärkt dem Herrnhutertum, das ebenfalls schon im 18. Jahrhundert mit reichlich Spott belegt worden war. 1804, während des Direktorats von August Hermann Niemeyer, veröffentlicht Georg Wilhelm Krause seine Historischen und psychologischen Bemerkungen über Pietisten und Pietismus. Krauses Abrechnung in Briefen richtet sich vor allem gegen die pietistische Überbetonung des Empfindens, die Vernachlässigung des Verstandes und den Verzicht auf weltveränderndes Handeln. Nach scharfen Worten über die Gründerjahre unter August Hermann Francke” kommt Krause auf ‚pathologische‘ Veränderungen der theologisch-frömmigkeitlichen Substanz zur Mitte des 18. Jahrhunderts zu sprechen:
„So wird denn also von vielen Frömmlingen das Seufzen, Aechzen und Heulen über ihre Verderbtheit, der innere Kampf der Gefühle, der äußerlich in Thränen und Klagen ausbricht, für das wahre Wesen der Bekehrung genommen, und ist dieser beschwerliche Kampf einmal überstanden, ist man dadurch seiner Einbildung nach ein Kind Gottes, ein begnadigter Jesu Christi geworden; so kann es dann nicht mehr fehlen, auch ein Kind der Seligkeit zu werden. Was dann noch übrig bleibt von sündlichen Lüsten und Begierden,— und sie bleiben oft sämmtlich, so wie sie zuvor waren, bis auf den äußern Heiligenschein,— das sind nun Ueberreste des alten Adams, Schwachheiten der Kinder Gottes, mit denen es Gott so genau nicht nehmen werden[...].“28
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PIETISMUS— FRISIERT UND UNFRISIERT
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Titelblatt in: Ausführliche Historische und Theologische Nachricht von der Herrenhuthischen Brüderschafft: wie solche Einige Jahre daher in der OberLausitz überhand nehmen und sich[...] durch[...] Deutschland, Schweitz, Holland, Dännemarck, Liefland, Pensylvanien, besonders aber unter den Normännern, Lappländern, Mohren und Hottentotten&c. ausbreiten wollen[...]; Nunmehro[...] mit einer Fortsetzung bis auf gegenwärtige Zeiten[...]/ von Einem Liebhaber der reinen Gottseligkeit[...]. Frankfurt: Auf Kosten des Autoris, 21743. Halle, Franckesche Stiftungen: BFSt: 58 G 22
Das Sichselbstfühlen und die Expression des Sichselbstfühlens werden zur Frömmigkeit hypostasiert, um darüber das sozialreformerische Handeln in der Welt zu vernachlässigen. Ähnlich Pontoppidan-Menoza argumentiert Krause als aufgeklärter Individual- und Sozialpsychopathologe: der„Einbildung nach“ hält sich der Pietist mit überstandenem Bußkampf und erfolgter Bekehrung für ein Kind Gottes. Nur verwechselt der Pietist Buße und Bekehrung mit„Seufzen, Aechzen und Heulen“. Mit Blick auf das theatral(isch)-inszenatorische Gehabe des Pietismus und seinen ausgemachten Gefühlsnarzissmus, der unterscheidende und adelnde Selbstbestätigung gegenüber den Kindern der Welt sichern soll, heißt es: