kriegen ist mein Unglück, Gott aber kan es abwenden. Deshalben ich alle Morgen, ehe ich
in die Schule ging diesen Versicul mit Andacht und Vertrauen zu Gott hersagete und Ihn
baht, Er möchte mich für Schläge behüten und sihe! ich ward gewahr, daß ich nimmer Schläge
kriegte, denn Gott bewahrte mich. Da lernete ich schon aus der Erfahrung erkennen, daß
Gott wahrhafftig helffen könte, wenn man Ihn anruffete. Ich mochte ohngefähr 8. Jahr
alt seyn, als ich einsten in einem Gehöltze bey der Stadt spatzieren ging, in dem mir nun
die schöne Lieder immer in Gedancken schwebeten und ich stets, wenn ich allein war, die-
selbe mündlich doch sachte wiederholete, so bekahm ich darbey einen ziemlichen Scrupul, den
ich nicht wuste aufzulösen. Denn ich bethete bey mir selbst das Lied her: Schwing dich auf zu
deinem Gott du etc. und da ich an die Worte kam, welches der 14 vers ist: Kinder die der
Vater soll ziehen zu allen guten, die gerathen selten wohl ohne Zucht und Ruthen etc. Da stand
ich an und schlos aus diesen Worten, die ich für Wahr hielt, ich müste kein gut Kind seyn: denn
ich hätte noch nimmer Schläge gekriegt. Diese Meditation drückete sich in mein Gemüthe
mit solcher Macht, daß es mir ietzo noch so lebendig ist, als wenns an diesem Morgen, da ich dieses
schreibe, geschehen wäre. Ein ander mahl gieng ich in unsern Garten hinter dem Hause spatzieren,
da fiel mir ein, welche eine Wohlthat Gott mir darinnen erzeiget hätte, daß ich wäre männ-
liches Geschlechte gebohren, denn ein solcher wäre geschickt weit in die Welt zu reisen, welches den Töchtern
nicht erlaubet stünde. Über diesen Vorzug war ich hertzlich froh und gutes Muths. Es ward einsten
zu Hause im discours mit fremden Leuten von der Universität Francfurt geredet, da man
unter andern des fürtrefflichen und hochgelahrten Doctor Beckmans gantz rühmlich gedachte.
Ich als ein Kind hörete alles mit fleißg zu und machte bey mir diesen Schluß: Ach! wie klar
und herlich mag ein solcher Mann Gott erkennen. Das war mein kindisches Uhrtheil dazu mahl
und die Sache im Grunde betrachtet, so solte es auch de jure so seyn. Wie ich an Spielen
nimmer einen Gefallen gehabt, so habe ich von Mutter leibe an einen Verdruß und
Mißgefallen an das Tantzen bezeiget auch so weit mich davon entfernet, daß ichs weder
sehen noch hören möchte. Allein es geschehe einsten, daß eine große Hochzeit in Sonnenburg
gehalten ward und ich [...] in das Haus, wo die Musicanten spieleten
nebst andern Leuten, die zusahen, herein [...]. Die Fremden waren meist aus Francfur[t]
und da ich eben angekommen, ward ein neuer actus angestellet, nemlich die Fleischer
und ihre Weiber ließen einen von ihren Knechten, den sie sonst mochten bisweilen zum besten
haben, was aufspielen, welcher mit einem Weibes Stück wacker toll im Kreise herum rasete,
eben als wenn man ihm eine besondere Ehre anthun wollen. Allein da die beyde Leute mitte[n]
in ihren krummen Springen waren, so höreten alle Musicanten mit eins auf, ohn Zweiffel
also von den Hochzeit Gästen bestellet und der Mensch mit seiner Tänzerin wurden dergestalt
prostituierte, daß sie für Schande den Leuten aus dem Gesichte lieffen und die übrigen lachten
sie noch darzu weidlich aus. Diese Poßen-Spiel schlug mich so ans Hertz, daß ich bey mir sagete:
nun wahrhafftig das ist mir ein lebendiges Bild von der gantzen Welt Eitelkeit, wenn mans am
wenigsten gedencket, so ist der Tand aus und die ewig Schande und Schmach folget darauf. Ich
ging zu Haus und hatte in dieser viertel Stunde schon genug gelernet, denn von der Zeit an be-
hielt ich stets das Bild in meinem Gemüth und die gantze Welt schien mir mit aller ihrer
Lust wie dieses Spiel, deßen Ausgang sich so scham hafft endigte. In Zwischen lernete ich in
der Schule so viel als es geschehen konte, hätt aber zehn mahl mehr vor mir bringen können,
wenn ich das Glück gehabt nach der itzigen Art informiret zu werden. Um eine gute Hand
schreiben zu lernen, wurden mir aus Francfurt Vorschrifften procuriret. Meine Mutter
war mit der Zeit in Kummer und Sorge gerathen, wo Sie mich wollte hinbringen, denn ich war
schon 14 Jahr alt, auch hatte ich öffters gehöret, daß ich von Hauße fort in die Fremde würde
ziehen müßen. Es war anno 1604 des Frühlings vor Ostern, da setzete ich mich nieder
in unsern Garten als etwas schwer mühtig und meine kümmerliche Gedancken waren diese:
sihe hier sitzestu heut, übers Jahr wo wirstu wohl seyn? Allein an eben dem Tage, wo mir
recht deucht, sante der Herr von Bonjour zu meiner Mutter und ließ sie fragen, ob sie mich
mit ihm nach Landsberg an der Wartha wolte ziehen laßen: Denn Er hätte eine Vocation als
Prediger dorthin bekommen, und Er wolte alles an mir thun, was ihm möglich wäre. Dies war
meiner Mutter eine gantz angenehme Post und ich wuste nun, wo ich hin reisen solte, so war unser
beyder Gram auf einmahl gehoben. Als ich in Landsberg an der Wartha war in Burgemeister