stimmung von frommer Denkungsart mit Worten, Gesten und Taten steht. Der Titel der Erstveröffentlichung in Johann Benedict Carpzovs(1639-1699) Leich-Predigt von 1692 ver­weist auf den Umstand, mit Fellers Epicedium sei dieInqvi­sition wider die Pietisten angegangen. Diese Inquisition, anfänglich von Seiten der lutherischen Orthodoxie, hatte sich neben der Theologie und Frömmigkeit vor allem auf Erscheinungsbild und Lebenswandel der Pietisten gestürzt. Dass der schonungslose Umgang mit ihnen von den Pietis­ten in ihr Selbstbild als zu Unrecht Verfolgte und Verhöhnte integriert wurde, lag nahe. Auch wegen der scharfen Vor­würfe sahen sie sich als die wahren Christen und Vollender der Reformation. Gebündelt waren die antipietistischen Vorhaltungen stets im Generalverdacht der Heuchelei der Vortäuschung falscher Frömmigkeitstatsachen. Für seine Gegner unter den lutherisch Orthodoxen, später unter den Aufklärern war der Pietist eben keiner, der einheilges Leben führt, er war vor allem ein Heuchler und zudem, wie gleich mit zu erleben, ungepflegt, lüstern, fanatisch, ver­schlagen, habgierig, aber auch und das im Übermaß ge­fühlsbesoffen und empfindelnd.® Er wurde zu einem spott­literarischen Klischee mit hohem Wiedererkennungswert.

Ein beredtes Beispiel für die Inszenierung eines pietis­tischen Habitus im Zeichen der ‚unfrisierten Heuchelei bietet Johann Simon Buchkas(1705-1762) Muffel, der Neue Heilige, nach dem Leben geschildert. 1731 verfasst in der Hoch­burg der lutherischen Orthodoxie und im selben Jahr in Basel gedruckt, ist die kleine Schrift Johann Friedrich Wil­helm Jerusalem gewidmet, Neologe, Prinzenerzieher am Braunschweigschen Hof und Vater von Karl Wilhelm, dem Vorbild für Goethes Werther.

[...]

So thu, als hätt ein Geist sich deiner Brust bemeistert:

Erst strampfle mit dem Fuß und brumme wie ein Bär;

Ein Auge zugedrückt, das andre bald die Quehr,

Bald tief, bald himmelwärts, bald in sich selbst

gezogen;

So hast du meisterlich zum Heuchler dich gelogen.

Man wird dich alsobald zu einem Priester weyhn,

Und du wirst, böser Schalk! der frömmste Bruder seyn.

[...]

PIETISMUS FRISIERT UND UNFRISIERT

2.8| Totenmaske Johann Caspar Schades, um 1700.

Seufz, ächze jederzeit! Ein stets Händefalten

Wird deiner Büberey den Tugendschein erhalten. Bisweilen setze dich in ein verdüstert Loch!

Und betest du nicht gleich; was schads? Man glaubt

es doch.

Das Haar laß recht verwirrt um Kopf und Stirne fliegen,

Und Fingerdick den Staub auf schwarzen Kleidern liegen;

Denn es ist Zeit, wenn sich das Ungeziefer regt,

Daß man ein reines Hemd an Haut und Glieder legt. Man muß das wilde Fleisch auf diese Weise zähmen, Und sich nicht vor der Welt und ihren Kindern schämen. [...]

Doch willst du deinen Ruff auf sichre Stützen gründen; So laß dich allezeit in Conventickeln finden,

Die ein begeistert Weib und kluger Schuknecht stift, Und wo der dümste Kopf den klärsten Spruch der Schrift

Geschickt verdunkeln kann;[...].